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Mehr Vernunft wagen

03.02.20 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Ist Ihnen was aufgefallen? Der VDV spricht nicht, wie in der Branche üblich, von einer Verdoppelung der Fahrgastzahlen bis 2030, sondern von einer Steigerungsrate um die dreißig Prozent. Selbst hier ist von einem Kraftakt die Rede. Dreißig Prozent bundesweit im Durchschnitt dürfte in etwa dem Gesamtverkehrswachstum entsprechen, der Modal Split wird also entsprechend gering bleiben.

Bleiben wir realistisch: Bundesweit im Durchschnitt sind Busse und Bahnen nur ein Nischenprodukt auf dem Verkehrsmarkt und wenn man bedenkt – das war letzten Donnerstag hier das Thema – dass in den Metropolregionen ein deutlich stärkeres Wachstum stattfinden wird, bleibt das eigene Auto für viele Menschen außerhalb des urbanen Raumes unverzichtbar. Dort aber, wo Busse und Bahnen ihre Stärken haben, stehen große Herausforderungen bevor.

Es ist vernünftig, sich realistische Ziele zu setzen. Es werden dreißig Prozent werden und das ist schon viel. Und so schön ja die Vorstellung wäre, dass man mit einem 365-Euro-Ticket einen supertollen ÖPNV nutzen könnte, so dringend ist auch eine realitätsbezogene Sichtweise. Die dann zu erwartenden Umsteiger kann das jetzige System ÖPNV nicht aufnehmen. Wir sind an den Grenzen des machbaren angelangt.

Das gilt es auch in die Politik hinein zu kommunizieren, damit man eben keine Luftschlösser baut. Wir müssen auf dem Boden trockener, notfalls spröder Tatsachen bleiben. Busse und Bahnen sind bereits deutlich günstiger als das eigene Auto, auch wenn das bei einer Kosten-Nutzen-Berechnung oft anders aussehen dürfte. Aber auch das spielt für viele Menschen eine Rolle.

Wenn der sich der tägliche Arbeitswege um nur eine halbe Stunde pro Strecke verlängert, weil man mit dem ÖPNV statt mit dem Auto fährt, geht damit ein Freizeitverlust von mehreren Arbeitstagen einher. Das werden viele Menschen nicht machen, auch dann nicht, wenn das Autofahren deutlich verteuert wird. Aber Versuche, die Innenstädte durch Parkgebühren und ähnliches so zu gestalten, dass die Leute lieber den Bus nehmen, sind gescheitert.

Einkaufszentren mit kostenlosen Parkplätzen auf der grünen Wiese sind ebenso die Folge wie das Erstarken des Internet-Versandhandels. Die Innenstädte haben zudem mit Attraktivitätsverlust zu kämpfen, gerade weil viele eben nicht mit dem Bus fahren, nur weil sich irgendwelche Rathaus-Ideologen das überlegen. Wohl aber sind immer diese Projekte erfolgreich, bei denen man deutliche Verbesserungen auf den Weg gebracht hat.

Das können die Plusbusse in einigen neuen Bundesländern sein, aber es sind auch die vielen Reaktivierungsprogramme, die die Allianz pro Schiene in ihrer regelmäßig aktualisierten Broschüre „Stadt, Land, Schiene“ vorlegt. Hier haben sich engagierte Menschen zusammengefunden und etwas gutes auf die Beine gestellt. Das lässt sich aber nicht zentral steuern, sondern hierfür braucht man Mut, Verstand und Herz vor Ort. Die Courage der vielen ist wichtiger als die schönen Sonntagsreden, die von oben herab vorgegeben werden.

Siehe auch: VDV hält Jahrespressekonferenz 2020 ab

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