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Lasst uns Visionen haben

16.05.19 (Kommentar, Österreich, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Meinen Sie, vor dreißig Jahren wäre die alte Behördenbahn gekommen und hätte gesagt „Diese Bahncard ist ne tolle Sache, die der VCD da vorgeschlagen hat – lasst uns das sofort einführen“? Es musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, um ein Erfolgskonzept in die Realität umzusetzen. Oder die diversen Landestarife, die es seit der Eisenbahnreform gibt; die sind nicht einfach so mal eben umgesetzt worden, sondern engagierte Menschen haben viele dicke Bretter gebohrt.

Das muss jetzt in Österreich auch getan werden. Das Land ist klein genug um einen solchen Österreichtarif zu machen – vom Quartiersbus bis hin zum Fernverkehr. Denn bei allen Argumenten, die man bei der Eisenbahn reflexartig zu hören kriegt, warum irgendwas nicht geht oder – und das ist die Steigerung – gar nicht gehen kann, muss man sich klarmachen, dass es immer eine Alternative gibt: Und die hat vier Gummireifen.

Man muss die Schiene attraktiv machen und dazu gehört auch die intuitive Nutzung. Noch immer ist der von Außenstehende als zu kompliziert wahrgenommene Tarif ein effektives Zugangshindernis. Welchen Fahrschein brauche ich? Wo muss ich drücken? Kaufe ich mir aus Versehen einen falschen? Das Smartphone hat da schon vieles einfacher gemacht, denn einfach einchecken und aussteigen mit der automatisierten Abrechnung sorgt dafür, dass gerade Wenigfahrer eine Sorge weniger haben.

Aber was passiert, wenn der Schaffner kommt und der Zug ist gerade im Funkloch? Oder wenn das Akku ausfällt? In jedem Fall ist es richtig, dass man Vereinfachungen durchsetzt, wo immer das geht. Und wenn man sich die letzten Jahrzehnte anguckt, dann sind die großen Erfolgsgeschichten immer die gewesen, bei denen eine große Vision am Anfang stand. Es sind die Visionäre, die die Welt in Atem halten und nicht die Erbsenzähler.

Es gibt ein Interview mit Dieter Ludwig, dem Erfinder des Karlsruher Modells. Der sagte einmal in einer Dokumentation über die Zweisystemstadtbahn, dass die Mitarbeiter der damaligen Bundesbahn ihm für jede Lösung ein Problem präsentiert haben. Und das dürfte in Österreich, wo es einen marktwirtschaftlichen Umbau der Eisenbahn im Sinne der deutschen Bahnreform nicht gegeben hat, tendenziell eher schlimmer als besser sein.

Deswegen müssen die Politiker jetzt parteiübergreifend an einem Strang ziehen. Denn solche großen Reformen kriegt man nicht mit den üblichen Dauerstreitigkeiten zwischen Regierung und Opposition hin. Hier müssen alle gemeinsam arbeiten, um die großen Visionen in die Tat umsetzen zu können. Aber wenn ich mir die zum Teil wirklich großen Erfolgsgeschichten der letzten Jahrzehnte angucke, bin ich optimistisch, dass der Österreichtarif kommen wird.

Und vielleicht kann man sich ja auch in Deutschland überlegen, ob man das eine oder andere, das in anderen Ländern erfolgreich umgesetzt worden ist noch noch werden wird, in angepasster Form auch hier anwendet. Ich gebe jetzt gerne Geld fürs Phrasenschwein: Wer rastet, der rostet. Das gilt auch bei der Weiterentwicklung der Schiene.

Siehe auch: Debatte um einheitlichen Tarif in Österreich

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