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Gewalt bekämpfen statt totschweigen

05.07.18 (go.Rheinland, Kommentar, Verkehrspolitik, VRR) Autor:Stefan Hennigfeld

Die objektive Sicherheitslage ist prima. So was wie die Kölner Silvesternacht ist halt Pech und wenn dann mal ein Mädchen im fahrenden Zug sexuell belästigt wird oder, wie im Frühjahr 2018, in einem Linienbus der Vestischen ein 13jähriges Mädchen von einem fremden Mann befingert wird, ist das halt Pech. Wen juckt das schon? Wichtig ist, dass man nicht drüber spricht, sondern dass der Ball flach gehalten wird.

Denn was niemanden stört, ist auch für die betroffenen Unternehmen und Sicherheitsbehörden kein Problem. Zusammengefasst ist das die Argumentation der Allianz pro Schiene, bei der ich persönlich nur den Kopf schütteln kann. In der DDR hatte man ein ähnliches Verständnis von Informationspolitik: Gewaltkriminalität galt als Auswuchs kapitalistischer Verrohung, in der sozialistischen Zukunftsgesellschaft wird man so was von selbst überwinden.

Deswegen hat man oft nicht drüber gesprochen und in den politisch gesteuerten Medien des Honecker-Staates ging das auch. Man hat fast das Gefühl, dass einige Leute die Existenz der freien Presse als Ärgernis sehen: Die berichten über Randale in Bus und Bahn, über getretene Busfahrer, gebissene Schaffner und Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen, die nach Übergriffen ins Krankenhaus kommen.

Die Gewerkschaften sind ebenfalls nicht auf der Linie der ÖV-Lobby, wenn EVG und GDL – in seltener Einigkeit – dazu aufrufen, zumindest beim Arbeitgeber Übergriffe zu melden, damit dieser solche Dinge auch dann erfassen kann, wenn keine Anzeige erstattet wird. In einem klimatisierten Berliner Büro mit Spreeblick lässt sich eben leicht über subjektive Ängste schwadronieren.

Busfahrer und Schaffner an der Front haben in ihrem Berufsalltag oft andere Erfahrungen gemacht. Viele Aufgabenträger sind in den letzten Jahren ebenfalls einen deutlich besseren Weg gegangen als die Allianz pro Schiene es gerne hätte: Anstatt eine Mauer des kollektiven Schweigens zu errichten, reden viele Nahverkehrsbesteller über das, was sie bewegt und was sie tun.

Das ist einiges: Ob das nun im VRR Verfügungsstreifen sind, die in den Zügen unabhängig vom jeweiligen Betreiber unterwegs sind oder die Bodycams für Mitarbeiter von DB Sicherheit im Großraum Köln-Bonn: Überall dort zeigt sich, dass man mit vernünftigen Maßnahmen der Kriminalitätsabwehr auch gute Ergebnisse erzielen kann.

Die Rückmeldungen der Mitarbeiter sind positiv und mit mehr Sicherheitsleuten steigt auch das subjektive Sicherheitsgefühl. Hier wird lösungsorientiert mit guten Ergebnissen gearbeitet. Vielleicht sollten sich die Herrschaften bei der Allianz pro Schiene das mal genauer angucken, statt zu erzählen, dass alles prima wäre im besten ÖPNV aller Zeiten und Probleme nur eingebildet seien.

Ob Herr Flege seine 13jährige Tochter um 22 Uhr mit der Berliner S-Bahn durch Neukölln fahren lassen würde? Nun weiß ich nichts über die privaten Familiensituationen der Branchenakteure und möchte auch nicht indiskret sein. Tatsache ist aber auch: Das Handeln des VRR ist vorbildlich. Die großen Sprüche der Allianz pro Schiene sind es nicht.

Siehe auch: Debatte um Sicherheitsempfinden

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