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Tarifeinheitsgesetz ist verfassungskonform

17.07.17 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

In der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung getroffen: Das von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ausgearbeitete und 2015 im Bundesgesetzblatt verkündete Tarifeinheitsgesetz widerspricht nicht dem Grundgesetz und ist keine unzumutbare Einschränkung der Koalitionsfreiheit. Geklagt hatten einige kleinere Gewerkschaften, aus dem Eisenbahnwesen war es die GDL.

Die Koalitionsfreiheit ist in erster Linie ein Freiheitsrecht. Es schützt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere die Tarifautonomie und Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Das Grundrecht vermittelt jedoch kein Recht auf absolute tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen.

Es fällt nicht unter die Ewigkeitsklausel und hat keine Bestandsgarantie für einzelne Koalitionen, sondern garantiert die Freiheit für jedermann, Mehrheiten zu organisieren. Daher wären staatliche Maßnahmen mit der Koalitionsfreiheit unvereinbar, die gerade darauf zielten, bestimmte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschehen heraus zu drängen oder bestimmten Gewerkschaftstypen, wie etwa Berufsgewerkschaften, generell die Existenzgrundlage zu entziehen.

Darüber hinaus ist die Selbstbestimmung über die innere Ordnung ein wesentlicher Teil der Koalitionsfreiheit. Das umfasst die Entscheidung über das eigene Profil auch durch Abgrenzung nach Branchen, Fachbereichen oder Berufsgruppen; bestimmte Vorgaben hierzu wären unzulässig. Das ist jedoch nach Auffassung der Karlsruher Richter gerade eben nicht der Fall. b) Die Regelung zur Verdrängung eines Tarifvertrags im Kollisionsfall greift jedoch, so die Richter, in die Koalitionsfreiheit ein.

Sie kann außerdem grundrechtsbeeinträchtigende Vorwirkungen entfalten. Denn sowohl die drohende Verdrängung des eigenen Tarifvertrags als auch die gerichtliche Feststellung, in einem Betrieb in der Minderheit zu sein, können eine Gewerkschaft bei der Mitgliederwerbung und der Mobilisierung ihrer Mitglieder für Arbeitskampfmaßnahmen schwächen und Entscheidungen zur tarifpolitischen Ausrichtung und Strategie beeinflussen.

Beeinflusst wird auch die grundrechtlich geschützte Entscheidung, ob und inwieweit mit anderen Gewerkschaften kooperiert wird und welches Profil sich eine Gewerkschaft gibt. Dagegen wird das in der Koalitionsfreiheit geschützte Recht, mit den Mitteln des Arbeitskampfes auf den jeweiligen Gegenspieler Druck und Gegendruck ausüben zu können, um zu einem Tarifabschluss zu gelangen, durch das Tarifeinheitsgesetz nicht angetastet.

Die Unsicherheit im Vorfeld eines Tarifabschlusses über das Risiko, dass ein Tarifvertrag verdrängt werden kann, begründet weder bei klaren noch bei unsicheren Mehrheitsverhältnissen ein Haftungsrisiko einer Gewerkschaft bei Arbeitskampfmaßnahmen. Dies haben die Arbeitsgerichte gegebenenfalls in verfassungskonformer Anwendung der Haftungsregeln sicherzustellen.

Darüber hinaus hat der zuständige Senat den Gesetzgeber aufgefordert, bis Ende 2018 Nachbesserungen im Rahmen einer Gesetzesnovelle durchzuführen. Die Ansprüche kleinerer Berufsgruppen, die in Spezialgewerkschaften organisiert sind, dürfen nicht in unzumutbarer Weise übergangen werden. Wie sich das in der praktischen Realität auswirkt, ist im Moment noch abzuwarten.

Bereits heute steht im Gesetz, dass kleinere Gewerkschaften im Rahmen der Tariffindung anzuhören und deren Auffassungen und Zielsetzungen durch den Arbeitgeber und die größeren Gewerkschaften zu berücksichtigen sind. Das klingt nach einem Gummiparagraphen und wird in der Realität dafür sorgen müssen, dass EVG und GDL wieder stärker zusammenrücken.

Die EVG jedenfalls ist zufrieden. Alexander Kirchner: Bundesvorsitzender der Gewerkschaft: „Wir sehen uns durch die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestätigt. Solidarische Tarifpolitik, die für alle Beschäftigten gelten soll, kann nur von den Gewerkschaften verantwortet werden, die die Interessen der meisten Beschäftigten vertreten.“

Alexander Kirchner: „In unserem Organisationsbereich haben wir anderen Gewerkschaften in der Tarifpolitik schon immer die Zusammenarbeit angeboten. Dies muss jedoch von beiden Seiten gewollt werden. Nur im Miteinander – und nicht im Gegeneinander – können wir das Beste für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreichen. Davon sind wir weiterhin zutiefst überzeugt.“

Siehe auch: Die Verhältnismäßigkeit muss bei allen stimmen

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