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Die Berliner Luft

26.05.15 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

In Berlin ist man also stolz, dass Abellio den Sitz aus Essen in die Bundeshauptstadt verlegt. Das hat indes mit dem bundesweiten Anspruch des Unternehmens zu tun und sicherlich nicht mit den großen Chancen, die der Eisenbahnmarkt dort für Wettbewerbsbahnen bietet. Denn erst jüngst konnte man bei der S-Bahn sehen, dass dort „die Bundesbahn“ der alleinige Wunschbetreiber des Eisenbahnverkehrs ist. Gab es im RE-Netz Stadtbahn noch den Wunsch nach Aufbruch und Innovation, so hat sich dies bei der S-Bahn komplett ins Gegenteil umgeschlagen. Dabei gibt es überhaupt keinen sachlichen Grund dafür.

Bei den jüngsten Streiks der GDL konnte man noch einmal von der Vergabe an zwei Betreiber profitieren, denn während DB Regio aus den bekannten Gründen größtenteils Ausfälle produziert hat, ist die ODEG verlässlich gefahren. Bei der S-Bahn hat sich über Jahre gezeigt, was passiert, wenn man das Gesamtsystem einem Betreiber in die Hand gibt: Man liefert sich diesem auf Gedeih und Verderb aus. Jahrelang lief das Netz überhaupt nicht, mehrere Linien wurden gar nicht gefahren, andere im ausgedünnten Takt und auf dem Höhepunkt waren über Wochen und Monate ganze Stadtteile vom Verkehr abgeschnitten. Es gibt überhaupt keinen rationalen Grund, im Rahmen einer „politischen Lösung“, das gesamte Netz in den Händen der DB AG und somit beim langjährigen Schlechtleister zu halten.

Doch wenn man sich einmal ansieht, wie skurril die Wahrnehmung in Berlin ist, dann kann es nur besser werden. Die Begriffe „Ausschreibung“ und „Privatisierung“ wurden im Zusammenhang mit der S-Bahn immer wieder synonym zueinander verwandt, teilweise auch von Politikern und Journalisten, denen man eigentlich mehr Substanz zutrauen würde. Hier ist es definitiv Aufgabe der Wettbewerbsbahnen, im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit dafür zu sorgen, dass Aufklärung betrieben wird. Dass hier mitnichten die arme, aber gemeinnützige „Bundesbahn“ von kapitalistischen Privatkonzernen angegriffen wird, sondern dass es ein Wettbewerb verschiedener gewinnorientierter Unternehmen ist. DB Regio ist genauso am eigenen Unternehmenswohl interessiert wie jede Wettbewerbsbahn.

Die Aufgabenträger sind diejenigen, die dafür sorgen müssen, dass den Interessen der Allgemeinheit Rechnung getragen wird. Da hat sich die Situation in Berlin aber seit einiger Zeit erheblich verschlechtert. Dort sind die politisch verantwortlichen Akteure offensichtlich der Meinung, dass die Eisenbahn, wie einst in alten Zeiten, als arbeitsmarktpolitische Maßnahme von größerer Relevanz sei als bei der Frage nach Qualität und Leistung. Ein Unternehmen wie Abellio, das eine professionelle Abteilung für Politik und Kommunikation hat, hat jetzt alle Chancen, sich aktiv für Verbesserungen einzusetzen. Sowohl in Berlin selbst als auch von dort aus in ganz Deutschland: Denn die Eisenbahn hat Potential, es muss nur richtig abgerufen werden.

Siehe auch: Abellio stellt sich in Berlin vor

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