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Die Zukunft realistisch gestalten

28.10.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Wenn man sich die Prognose des Bundes genauer anguckt, dann stellt man fest: Das ist gar nicht so schienenfeindlich, wie die Verbände es hier sagen. Man geht sehr wohl davon aus, dass der Verkehr auf der Schiene wächst, wenn auch nicht im großen Stil stärker als der Markt. Wie soll das auch passieren? Wo sollen denn all die Kapazitäten herkommen, die eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen realisieren?

Das war bis vor kurzem noch das gängige Narrativ der Eisenbahn- und ÖPNV-Branche, dass man das Passagieraufkommen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum letzten Vor-Corona-Jahr 2019 verdoppeln würde. Man hat sich davon inzwischen heimlich, still und leise verabschiedet, weil auch dem größten Idealisten klargeworden sein dürfte, dass die Realität eine ganz andere ist. Die Eisenbahnbranche muss bis 2030 zusehen, dass sie halbwegs vernünftig aus dem „Jahrzehnt der Baustellen“ rauskommt und dass sie im nächsten Schritt wieder in der Lage ist, die Fahrpläne so zu fahren, wie sie von den Aufgabenträgern bei den Verkehrsunternehmen bestellt werden.

Das gilt für die große Schiene wie auch im kommunalen Bereich, überall in Deutschland erleben wir Not- und Sonderfahrpläne, weil es an Personal fehlt. Wie will man in so einer Situation ernsthaft von Verkehrsverlagerung oder Leistungsausweitungen sprechen? Selbst wenn wir die Probleme der Finanzierung außen vor lassen, so sind doch die zusätzlichen Fahrten aus allen anderen Gründen unrealistisch. Doch selbst wenn, dann ist plötzlich ein Stellwerk für mehrere Stunden unbesetzt, weil ein Fahrdienstleiter erkrankt und nicht mehr genügend Reservepersonal vorhanden ist.

Das ist gerade für den auch in der Nacht verkehrenden Güterverkehr ein Riesenproblem, denn insbesondere langlaufende Güterzüge brauchen das Zeitfenster von Mitternacht bis sechs Uhr morgens, um im Netz ungestört von vorrangigen Personenzügen voranzukommen. Dabei geht es auf der Schiene wie auf der Straße sehr wohl um vernünftige Ausbauten, die eine netzweite Wirkung erzielen: Flaschenhälse müssen aufgeweitet werden, ein oder zwei zusätzliche Weichen oder Überwerfungsbauten können die Eisenbahnverkehr deutlich stabiler machen. Längere und mehr Überholgleise sorgen dafür, dass langsame Güter- und schnellere Personenzüge gemeinsam im Netz unterwegs sein können.

Warum sollte nicht jeder mittlere Bahnhof auch über ein tausend Meter langes Überholgleis verfügen, auf dem man Güterzüge mal eben auf die Seite nehmen kann, um den schnelleren Personenzug vorbeizulassen? Wir brauchen wieder mehr Ausweich-, Überleit- und Überholstellen, also genau das, was in den 2000er Jahren mit der Holzhammermethode rausgerissen worden ist. So kann man dann in den 2030er Jahren sukzessive darüber nachdenken, wie man tatsächlich zusätzliche Verkehrsströme auf der Schiene verarbeiten kann. Doch um dahinzukommen müssen in den kommenden Jahren die grundständigen Probleme gelöst werden, von denen jeder Berufspendler, der tagein, tagaus unterwegs ist, ein Lied singen kann.

Siehe auch: Bund legt Verkehrsprognose 2040 vor
Foto: Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

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