Der Arbeitsplatz muss attraktiv sein
30.10.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Ganz Deutschland spricht von einer Verkehrswende, von einer Verkehrsverlagerung auf die Schiene und vor allem im urbanen Raum von einem Abschied des Autos, weil man die öffentlichen Verkehrsmittel so stark ausbauen will. Ebenfalls in ganz Deutschland erleben wir Notfahrpläne, Zugausfälle, Wartungsrückstände und vieles, vieles mehr. Narrativ und Realität passen nicht zusammen. Dabei ist der Gang in den Notfahrplan nur folgerichtig, weil man so dafür sorgen kann, dass das verringerte Angebote verlässlich läuft.
Dabei muss man klar festhalten: Das ist kein Kölner Thema, das ist auch im Eisenbahnverkehr kein Thema eines einzelnen Verkehrsunternehmens, sondern es ist ein bundes- und branchenweites Problem. Dazu gehört eine vernünftige Personalakquise und ausreichend Ausbildungskapazitäten, aber man muss die Bestandsmitarbeiter eben auch dauerhaft an das Unternehmen binden, damit diese nicht nach ein paar Jahren wieder kündigen. Offiziell will niemand Zahlen nennen, aber in Österreich haben die ÖBB eine klare Definition dessen, was Schnellfluktuation ist und welche Zahlen dahinterstecken.
Wer innerhalb von 24 Monaten das Unternehmen verlässt, gilt als Schnellfluktuation und das betrifft etwa jeden fünften neu angeworbenen Angestellten. Ob es in Köln mehr oder weniger sind, weiß man natürlich nicht, aber es zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, hier eine Bestandsaufnahme zu machen und nach einigen Jahren zu gucken, ob es gelungen ist, diese Zahlen zu senken. Noch immer entsteht der Eindruck, dass große Teile der Eisenbahn- und ÖPNV-Branche noch immer nicht verstanden haben, dass die Mitarbeiter nicht mehr um jeden Preis auf diesen einen Arbeitsplatz bei der KVB, bei den Stadtwerken Bonn, bei DB Regio oder der Düsseldorfer Rheinbahn angewiesen sind, sondern das sie jede Menge andere Optionen haben.
Die Stadtwerke Bonn haben im letzten Jahr in den sozialen Medien spekuliert, dass auch die Aussicht auf Transferleistungen attraktiver sein könnte als die Tätigkeit als Straßenbahn- oder Busfahrer. Näheres wusste man dann natürlich auch nicht, denn ein Unternehmen erfasst ja zurecht nicht, wo ein ehemaliger Mitarbeiter heute beruflich tätig ist. Aber wer als Elektriker oder Kfz-Mechatroniker in den Beruf des Straßenbahnfahrers quer einsteigt, der kann auch quer wieder aussteigen, weil das klassische Handwerk im Vergleich öffentlichen Verkehr auch Vorteile hat und weil die Leute auch da gesucht werden.
Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass die künftigen Tarifabschlüsse für die Arbeitnehmer sehr attraktiv werden – aber auch kostspielig für die Arbeitgeber. Kann eine Reduktion der Wochenarbeitszeit wirklich dazu beitragen, den Personalmangel zu beseitigen? Ja, weil es dafür sorgt, dass weniger Leute den Job kündigen und sich beruflich (erneut) umorientieren. Zurecht hat man in Köln erkannt, dass man die Stressbelastung insbesondere für das Fahrpersonal reduzieren muss und auch wird. So kann man zumindest den jetzigen Notfahrplan dauerhaft gewährleisten.
Siehe auch: KVB geht in den Notfahrplan
Foto: Kölner Verkehrsbetriebe AG / Christoph Seelbach