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Zeit für den großen Wurf

05.09.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Wir haben mit dem Deutschlandticket eine Veränderung in der Tariflandschaft, die von ähnlicher Bedeutung ist, wie die Eisenbahnreform 1994 und die Regionalisierung 1996. Noch vor einigen Jahren wäre ein solches Angebot undenkbar gewesen und wir sehen ja, dass es auch aktuell alles andere als unumstritten ist. Für die Fahrgäste drohen vielleicht schon in naher Zukunft erhebliche Kostensteigerungen. Aber die Idee als solche wird sich wohl kaum wieder abschaffen lassen, zumindest nicht wenn die politische Forderung nach einer Stärkung öffentlicher Verkehrsmittel ernstgemeint ist.

Dazu passt, dass der größte Verkehrsverbund Deutschlands seine Tariflandschaft radikal verändert und vereinfacht, mit dem letztes Jahr neu eingeführten Deutschlandticket im Mittelpunkt. Das Deutschlandticket ist die Regel, auch das Sozialticket und das Semesterticket sind nunmehr Abwandlungen des Deutschlandtickets und keine eigenen Produktgruppen mehr. Natürlich kann es sein, dass irgendjemand jeden Abend nach 19 Uhr noch eine Person mitnimmt und dabei aber nur zwei Stationen mit der S-Bahn fährt und auf seinem Stadtgebiet bleibt, für den sich die Situation mit zwei Deutschlandtickets statt einem Ticket 2000 dann verteuert.

Es gibt immer Einzelfälle, Sondersituationen und ähnliches, wo man dann feststellt, dass jemand im ganz konkreten Fall eine zusätzliche Belastung hat. Das Ziel muss aber sein, für die breite Masse der Fahrgäste besser und attraktiver zu werden. Dazu gehört auch, dass die Digitalisierung voranschreitet. Der Irrglaube, dass vor allem Senioren durch die Umstellung auf digitale Fahrscheine ausgeschlossen würden, ist längst in der Realität widerlegt.

Schon lange bewegen sich die sogenannten „Silversurfer“ im Internet, also ältere Leute, die erst im Erwachsenenalter den Umgang mit Computer, Smartphones und dem World Wide Web gelernt haben. Ältere Leute haben also längst ihre eigenen Geräte und sind viel seltener auf Papierfahrscheine angewiesen als viele es annehmen. Außerdem muss es ja das Ziel sein, möglichst viele Leute zu einem einfachen Umstieg zu bewegen. Wir wissen ja, dass Autopendler beim Umstieg auf den Zug oft vor komplexen Tarifsystemen zurückschrecken, die auch vor dem Deutschlandticket oft viel einfacher waren als viele Leute gedacht haben.

Jetzt aber ist es möglich, komplett intuitiv zu fahren – alles, was man braucht ist die App, mit der man sich einloggt oder gleich das Deutschlandticket auf dem Handy. Jetzt ist die Gelegenheit, mit dem neuen Deutschlandticket, dass man auch auf Verbundebene das Fahrscheinsortiment vereinfacht.

VRR-Chef Oliver Wittke hat die Mindereinnahmen, die mit der Tarifreform einhergehen, auf der Pressekonferenz am Montag mit rund 300.000 Euro im Jahr eingeschätzt. Das ist bei einem Gesamtumsatz von etwa 1,3 Milliarden Euro im Jahr eine Größenordnung, die man fast vernachlässigen kann. Umso wichtiger ist es, dass man jetzt den großen Wurf wagt, alte Zöpfe abschneidet und dafür sorgt, dass der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel zumindest auf Seiten der Tarifierung deutlich einfacher wird.

Siehe auch: VRR plant große Tarifreform
Foto: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR

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