Die Geschichten und die Probleme dahinter
03.06.24 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Es sind ja schon herzergreifende Geschichten: Weil ein ICE zu wenig Personal hat und eigentlich die Fahrt abbrechen müsste, verdichtet eine engagierte Zugbegleiterin die Leute in die Zugmitte und verschließt mehrere Waggons. Platzmangel hatte dieser Zug scheinbar nicht. Das Problem ist: Nicht selten fahren gerade auf stark nachgefragten Relationen auch ziemlich volle Züge durch die Republik, in denen die „Fahrgastverdichtung“, wie es traditionell heißt, so ohne weiteres gar nicht möglich ist.
Doch soll an dieser Stelle nicht die Glaubwürdigkeit einer solchen Geschichte diskutiert werden, sondern die Probleme, die dahinterstehen. Deutschland steckt in einer handfesten Eisenbahnkrise, bei der wir vielen engagierten Mitarbeitern im oft von Pleiten, Pech und Pannen geprägten Alltag tatsächlich nur dankbar sein können, dass sie nicht die Nerven verlieren oder kündigen – andere Branchen suchen auch Mitarbeiter. Eben weil die Eisenbahner gute ausgebildete, kundenorientiert arbeitende Leute sind, steht ihnen die Arbeitswelt auch jenseits der Schiene offen.
Gerade die Quereinsteiger der letzten Jahre können auch weitgehend problemlos in ihre alten Berufe zurückgehen. Sie sind nicht mehr auf den einen Eisenbahnjob angewiesen. Darüber will zwar keiner so wirklich sprechen, aber die Personalfluktuation ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Neben der Akquise neuer Mitarbeiter muss man das Bestandspersonal auch halten.
Wenn ein Eisenbahner in seiner Freizeit nachts einen Vater mit seinem minderjährigen Sohn mit dem Auto wegbringt, weil der wegen eines Gleiswechsels den Anschluss verpasst hat, ist das sicher eine menschliche Großtat. Respekt.
Aber es zeigt auch ein anderes Problem: Dass nämlich unangekündigte Gleiswechsel im Falle der Fahrgastrechte nur als Servicemangel gelten. Wenn ich als Fahrgast nicht darüber informiert werde, dass der Zug statt an Gleis 1 an Gleis 25 fährt und deshalb den Zug nicht kriege, dann kann ich keine Entschädigung geltend machen. Das Eisenbahnbundesamt als Schlichtungsstelle hat sich schon vor Jahren auf den Rechtsstandpunkt gestellt, dass ein solcher Servicemangel keinen Anspruch auf Entschädigung und im Zweifel auch keinen Anspruch auf die Erstattung von Übernachtungskosten in einem Hotel auslöst.
Hier wäre der Gesetzgeber gefragt, dafür zu sorgen, dass sich das ändert. Denn wenn der Fahrplan den Fahrgast an einen völlig falschen Bahnsteig führt und niemand sagt, dass der Zug an einer ganz anderen Stelle, womöglich mehrere hundert Meter, vielleicht über einen Kilometer Fußmarsch entfernt, dann ist das ein faktischer Zugausfall.
Ebenso ist das Problem bei nicht funktionierenden Aufzügen vorhanden. Danke an alle Eisenbahner, die in solchen Situationen kreative Lösungen bringen. Aber noch immer fehlt bei der Infrastrukturqualität das Controlling. Niemand greift ein, wenn Aufzüge oder Rolltreppen über Wochen und Monate kaputt sind. Auch hier muss man sehr ernsthaft an die Ursachen gehen. Dazu braucht es Gesetzesänderungen und zwar auch dann, wenn sie nicht jedem gefallen.
Siehe auch: Eisenbahner mit Herz 2024 ausgezeichnet
Foto: Deutsche Bahn AG / Timo Volz