Ehrlichkeit statt Mangelwirtschaft schönreden
12.10.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Zumindest macht man sich in Stuttgart ehrlich: Da werden keine Fahrpläne geschrieben, von denen man weiß, dass die Kapazitäten dafür ohnehin nicht vorhanden sind, sondern man bietet das an, wozu man auch wirklich in der Lage ist. Nicht fehlende Regionalisierungsgelder oder unterauskömmlich finanzierte Aufgabenträger sind das Problem, sondern der Personalmangel. Züge werden nicht mehr abbestellt, weil der Aufgabenträger kein Budget mehr hat, sondern es liegt am Auftragnehmer.
DB Regio bzw. die dazugehörige S-Bahn Stuttgart hat nicht mehr die Kapazitäten, um den bisherigen Soll-Fahrplan einzuhalten und ist auch zumindest bis zum Ende des kommenden Jahres nicht in der Lage, diese Kapazitäten aufzubauen. Danach wird man weitersehen. Hier sieht man auch, wie sehr die Realität und die politischen Narrative auseinanderdriften.
Zur Erinnerung: Es ist noch immer die offizielle Vorgabe aus der Politik und aus den Spitzen der Eisenbahnbranche, dass man die Fahrgastzahlen auf der Schiene im Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 2020 verdoppeln möchte. Wer aus der DDR stammt, wird sich in dieser Sache vielleicht an die Fünfjahrespläne in der sozialistischen Planwirtschaft erinnern. Obwohl die Fünfjahrespläne angeblich ständig übererfüllt wurden, gab es nichts zu kaufen.
Einen ähnlichen Effekt erleben wir auch hier. Der Unterschied zwischen politischem Wunschdenken und Realität wird immer größer und das ist gefährlich. Auch die Mangelwirtschaft wie man sie im real existierenden Ostblocksozialismus hatte, erkennt man heute in ähnlicher Form auf der gesamtdeutschen Schiene wieder. Die Züge fallen aus, weil es keine Lokomotivführer gibt oder weil die Stellwerke unterbesetzt sind. Manchmal fallen sie auch aus, weil es Wartungsrückstände gibt, dann fehlen eben die Werkstattkapazitäten.
Im Sommer wurde der Regionalexpress von Karlsruhe nach Konstanz von einem Stundentakt auf einen Zweistundentakt ausgedünnt. In der Haupturlaubszeit hat man den Regionalexpress, der durch den Schwarzwald an den Bodensee fährt, mal eben halbiert und wundert sich dann, wenn Urlaubstouristen lieber mit dem Auto oder mit dem Inlandsflieger anreisen. Und alles was der Eisenbahnbranche dazu wiederum einfällt ist die Erfindung des Internet-Hashtags #Flugscham. Na herzlichen Glückwunsch. Auch das dürften DDR-Leute zur genüge kennen: Dass nichts funktioniert, aber dass es eine gesellschaftlich-politische Funktionselite gibt, die ihr eigenes Scheitern durch selbsternannte moralische Überlegenheit zu übertünchen versucht.
Wenn wir uns in Deutschland jetzt ehrlich machen wollen, dann müssen wir sagen: Die Eisenbahn wird auf Jahre hinaus im Krisenmodus laufen. Die Fahrpläne werden nicht ausgeweitet, sondern bundesweit ausgedünnt. Gleichzeitig werden Verkehrsverträge deutlich teurer, weil man in Zukunft wesentlich mehr Geld aufwenden muss, um Mitarbeiter zu finden und auch zu halten. Aber bis zum Jahr 2030 wird man bestenfalls zum Status Quo des Jahres 2020 zurückkehren können. Alles andere ist völliger Humbug.
Siehe auch: S-Bahn Stuttgart: Kürzungen wegen Personalmangel
Foto: Deutsche Bahn AG / Axel Hartmann