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Potentielle Fallen im Jahrzehnt der Baustellen

25.09.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Möglicherweise werden Sie jetzt denken: Nicht schon wieder diese Leier, aber wenn die öffentliche Hand Rekordfinanzmittel für die Eisenbahn zur Verfügung stellt, dann muss man darüber reden, ob und wenn ja wie diese überhaupt verbaut werden können. Volker Wissing kann zwar an die Baufirmen appellieren, dass diese sich auf das hohe Investitionsvolumen der nächsten Jahre vorbereiten, aber so ein Aufruf eines Ministers reicht im Zweifel eben nicht.

Jetzt wäre DB Netz gefragt, sich vorzubereiten. Wenn man schon darauf hinweist, dass die neue Infrastrukturgesellschaft des Bundes transparenter werden soll, dann muss man auch darüber reden, wie man mit Lieferengpässen bei Bau- und Rohstoffen umgeht, wie man auf fehlende Baumaschinen reagiert und was man bei Personalmangel macht.

Hier und heute muss man Verträge mit den großen Akteuren der Baubranche abschließen: Ja, die kosten Geld, aber im Gegenzug verpflichten die sich, DB Netz (oder wie auch immer das Unternehmen bald heißen mag) immer prioritär zu behandeln. Wenn die Baumaschinen knapp werden, werden alle anderen Kunden zurückgestellt, sondern die DB-Aufträge haben Vorrang. Das gilt ebenso für Mitarbeiter oder für Bau- und Rohstoffe.

Das ist ein ganz entscheidender Punkt, dem man sich im selbst ausgerufenen „Jahrzehnt der Baustellen“ wird widmen müssen. Dabei stellt sich auch die Frage, ob durch das so massiv gestiegene Bauaufkommen nicht ein Schaden entsteht, der größer ist als der langfristige Nutzen, mit dem man plant? Die Eisenbahn hat einen Nutzwert, wenn sie funktioniert und dafür muss man sich drauf verlassen können, dass der Fahrplan eingehalten wird.

Wenn die Strecken vor Ort für mehrere Monate gesperrt sind, werden sich Pendler umorientieren und nach einer Wiedereröffnung der Strecke muss man dann sehen, ob sie zurückkommen. Denn die Eisenbahn steht beständig im Wettbewerb der Verkehrsträger und muss sich behaupten gegen das eigene Auto ihrer Fahrgäste. Wobei sich auch hier wieder die Frage stellt, wenn man alle möglichen Leistungsausweitungen verspricht, wie man das bitte realisieren will, wenn keine Mitarbeiter da sind?

Wir wollen das Angebot massiv ausweiten, können aber nicht mal den Status Quo halten. Gleichzeitig gehen wir durch das Jahrzehnt der Baustellen, aber wenn das zu Ende ist, sollen sich die Fahrgastzahlen verdoppelt haben. Das schlimme ist: Niemand würde offiziell von diesem Ziel abrücken, obwohl jeder weiß, dass es völlig absurd ist. Hier kann ich nur davor warnen, dass sich politische Versprechungen von der Realität entkoppeln und das tun sie, wenn die Vertreter der Eisenbahnbranche, der Politik und der DB AG bei diesem Narrativ bleiben.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass jetzt bis 2030 im großen Stil gebaut und Personalakquise betrieben wird, muss man dann sehen, wo die Eisenbahn am Ende dieser Bauphase steht. Absurde Planungen funktionieren auch dann nicht, wenn sie nur deshalb nicht aufgegeben werden, weil niemand der Überbringer der schlechten Nachricht sein will. Aber die Realität holt alle ein.

Siehe auch: Bahn verbaut Rekord-Finanzmittel
Foto: Deutsche Bahn AG / Thomas Kiewning

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