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Nackte Zahlen lügen nicht

21.09.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Also bis 2025 braucht man nur in Nordrhein-Westfalen 400 neue Lokomotivführer, bis 2027 sind es dann 600. Dabei sind nur diejenigen eingerechnet, die in den Ruhestand wechseln und deshalb ersetzt werden müssen, kann man davon ausgehen, dass es in der Realität noch einmal deutlich mehr sein werden. Denn auch wenn die verantwortlichen Stellen auf Nachfrage keine Zahlen zur (Schnell-)Fluktuation haben wollen, so ist doch klar, dass diese stattfindet.

Man muss neue Mitarbeiter nicht nur finden, sondern auch halten. Gerade junge Leute haben im Durchschnitt nicht mehr die Bindung zu ihrem Lebensjob wie die älteren, jetzt in den Ruhestand eintretenden Jahrgänge. Wenn es nicht mehr läuft, geht man woanders hin und gerade wer etwa aus dem Handwerk kommt, der kann dorthin auch jederzeit zurück.

Wir müssen uns aber auch in einem anderen Bereich ehrlich machen: Denn neben dem enormen Personalbedarf bis 2025 bzw. 2027 haben wir auch noch ein anderes Langfristziel: Die Verdopplung der Fahrgastzahlen bis 2030. Natürlich ist das völlig utopisch und unter der Hand kann ich mir nicht vorstellen, dass irgendein Eisenbahnfunktionär dieses Narrativ noch für glaubwürdig hält. Aber offiziell ist das Ziel noch immer ausgegeben. Aber in den kommenden Jahren geht es darum, den Ist-Fahrplan zu verstetigen.

Wenn man sich umsieht, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, dann sieht man überall in Deutschland dass Eisenbahnunternehmen in Sonder- und Notfahrpläne einsteigen, weil es an Mitarbeitern fehlt. Wir sprechen also weder von Leistungsausweitungen noch von Streckenreaktivierungen, sondern davon, dass wir in der schwersten Eisenbahnkrise seit der Pionierzeit stecken und es nicht schaffen, das Soll-Angebot sauber in die Realität umzusetzen. Denn es ist ja nicht nur der Personalmangel beim Fahrpersonal, auch ortsfeste Eisenbahner gibt es zu wenig.

Denn wenn die Züge nicht wegen fehlender Lokomotivführer ausfallen, dann liegt es oft an unbesetzten Stellwerken. Dann macht der Fahrdienstleiter zwischen 20 und 22 Uhr Feierabend, wenn keine Ablösung kommt, ist die Eisenbahnstrecke über Nacht geschlossen. Hier wird dann besonders der Güterverkehr benachteiligt: Dieser ist zwar rund um die Uhr auf der Schiene unterwegs, aber der Güterverkehr braucht die wenigen Stunden der Kernnacht zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens besonders dringend, weil er in diesem Zeitfenster nicht durch vorrangige Personenzüge ausgebremst wird.

Es gab allerdings zuletzt auch immer wieder geschlossene Stellwerke zur Tageszeit. Dann steht der Berufspendler morgens um sieben am Bahnsteig und dann kommt der Zug nicht, weil es keinen Lokomotivführer gibt oder weil es keinen Fahrdienstleiter gibt. Womöglich hat man auch Wartungsrückstände, weil die Mechatroniker in den Werkstätten fehlen. Das wieder aufzubauen, was hier brachliegt, ist eine langfristige Mammutaufgabe, die weit über eine Legislaturperiode hinausgeht. Aber sie muss vorrangig vor allen Ideen und absurden politischen Versprechungen stehen.

Siehe auch: Personaloffensive in Nordrhein-Westfalen
Foto: Deutsche Bahn AG / Dominic Dupont

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