Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Das Jahrzehnt der Baustellen ausgestalten

20.04.23 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

DB Netz hat selbst das Jahrzehnt der Baustellen ausgerufen und das ist auch völlig in Ordnung. Natürlich muss man sich grundsätzlich überlegen, wann der Punkt gekommen ist, an dem die Bauaktivitäten im Netz so intensiv werden, dass auch die langfristige Verbesserung der Infrastrukturqualität in keinem Verhältnis mehr zu den kurzfristigen Beeinträchtigungen steht. Diese Bewertung ist schwierig und in jedem konkreten Einzelfall vorzunehmen.

Wir wissen zudem nicht, wie es bei Bauverzögerungen oder Verteuerungen aussieht. Darüber hinaus ist komplett unklar, ob und wie man sich bei DB Netz auf drohende Mangellagen bei Bau- und Rohstoffen vorbereitet hat. Drohen Baumaßnahmen vielleicht daran zu scheitern, dass die Baustoffe nicht im notwendigen Ausmaß zur Verfügung stehen? Fragen, die man sich wird stellen müssen, über die aber jetzt niemand so richtig sprechen möchte.

Warum eigentlich nicht? Hier liegt so viel Sprengstoff vergraben inklusive Risiken für alle Marktakteure, das lässt sich gar nicht abschätzen. Was passiert denn, wenn eine Baustelle zur Hälfte fertig ist und der Nachschub mangelt? Oder wenn so eine Baufirma, die im Auftrag von DB Netz arbeitet, plötzlich Personalmangel hat: Wir kennen das aus der Eisenbahnbranche doch zur genüge.

Hat DB Netz Grundsatzverträge mit Baufirmen abgeschlossen, in denen man sich die bevorzugte Versorgung mit Personal- und Materialressourcen gesichert hat? Oder kann sich eine halbfertige Baustelle womöglich bis auf weiteres verzögern und das alles zulasten des Eisenbahnverkehrsunternehmens, das dort fährt? Hier kommt spontan noch ein ganz anderer Gedanke auf: Wenn DB Netz kurzfristig mit Kapazitätsengpässen bei Auftragnehmern konfrontiert ist, wer entscheidet dann über die prioritäre Disposition?

Steht zu befürchten, dass dann solche Strecken, auf denen DB Regio den SPNV fährt bevorzugt behandelt werden und dort, wo Wettbewerbsbahnen unterwegs sind, muss man halt warten? Umgekehrt könnte natürlich DB Netz auch, um solche Verdachtsmomente zu entschärfen, bevorzugt auf den Strecken arbeiten, auf denen DB Regio nicht fährt, obwohl damit vielleicht deutlich mehr Fahrgäste betroffen sein könnten. Also das wird ein Thema sein, das uns mitten im selbst ausgerufenen Jahrzehnt der Baustellen noch zu beschäftigen droht.

Wenn dann aber Baustellen kurzfristig geplant werden, niemand mehr umdisponieren kann und womöglich selbst der Schienenersatzverkehr mit Bussen nicht mehr so schnell eingerichtet werden kann, wie es nötig wäre, dann haben wir Zustände erreicht, die einfach nicht gehen. Natürlich kann man immer mal die Situation haben, dass irgendwo von jetzt auf gleich ein riesiger Schaden entdeckt wird.

Aber man kann von DB Netz mit Recht verlangen, dass das Unternehmen den Zustand der eigenen Infrastruktur kennt und die Bauaktivitäten entsprechend plant. Denn jeder umständliche Busverkehr, jeder ausgefallene Zug, jede Unannehmlichkeit für die Fahrgäste sorgt dafür, dass die Fahrt mit dem Auto doch wieder attraktiver wird.

Siehe auch: Mofair fordert bessere Baustellenkommunikation
Foto: Deutsche Bahn AG / Uli Planz

Kommentare sind geschlossen.