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VDV: Personalmangel verschärft sich weiter

09.03.23 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Wenige Tage nach der ersten VDV-Fachkräftekonferenz liegt nun die Auswertung einer branchenweiten Personalumfrage vor. Fast jedes zweite Unternehmen im musste 2022 zeitweise wegen Personalmangel den Fahrplan ausdünnen. „Die Fahrpläne wurden ausgedünnt und manche Linie gestrichen. Das tut natürlich weh. Das hatte 2022 auch mit außergewöhnlichen Krankheitswellen zu tun. Die tiefere Ursache ist jedoch, dass die Personaldecke infolge des demografischen Wandels immer kürzer wird. Um gegenzusteuern bereiten die Verkehrsunternehmen gezielte Maßnahmen vor oder setzen diese bereits um. Doch auch der Gesetzgeber ist in Bezug auf Führerscheinprüfungen, Mindestalter und Fachkräften aus dem Ausland gefordert“, erklärt Harald Kraus, Vorsitzender des VDV-Personalausschusses und stellvertretender Vorsitzender der VDV-Akademie.

An der VDV-Personalumfrage 2023 hat die Rekordzahl von 182 Verkehrsunternehmen aus dem öffentlichen Personen- und dem Schienengüterverkehr teilgenommen. Die Verkehrsunternehmen gestalten den Wandel aktiv und schnüren ein ganzes Bündel an Maßnahmen, um den Herausforderungen zu begegnen. Gleichzeitig gebe es ermunternde Entwicklungen, etwa bei den gestiegenen Einstellungszahlen, der Anzahl der Bewerbungen oder der Wahrnehmung der Branche.

„Viel ist in diesen Tagen von der spielverändernden Wirkung des Deutschland-Tickets die Rede. Zu wenig sprechen wir noch vom Gamestopper Personalmangel: Wir sind uns einig, dass die Arbeitskräftesituation darüber entscheiden wird, ob unser Land die Klimaschutzziele im Verkehrssektor wird erreichen können. 2030 wird man wehmütig auf die noch vergleichsweise entspannten anfänglichen 2020er Jahre zurückblicken. Vom Riesen-Eisberg, auf den wir zusteuern, sehen wir bislang nur die Spitze“, so Kraus.

Nach Angaben des VDV gehen in der gesamten Branche rund 80.000 Beschäftigte bis 2030 altersbedingt in den Ruhestand – und die Bus- und Bahnunternehmen haben einen besonders hohen Boomer-Anteil, da die Branche über Jahre hinweg wegen politischer Sparvorgaben kaum Nachwuchs einstellen konnte. In der Umfrage geben 62,4 Prozent der Unternehmen den Altersdurchschnitt mit über 46 Jahre an, den Frauenanteil mit rund 22 Prozent. „Wir müssen darauf mit mehr Flexibilität, mit mehr Teilzeit reagieren – das hilft nicht nur den Kolleginnen und Kollegen, die Familie haben“, so Harald Kraus. Der Personalbedarf hat laut 61,6 Prozent der antwortenden Unternehmen zugenommen, 17 Prozent sagen sogar: „stark zugenommen“.

„Wir haben mittlerweile einen Arbeitnehmermarkt – und gleichzeitig einen Kulturwandel im Arbeitsalltag. Die Branche wird jährlich bis zu 8.000 Fahrerinnen und Fahrer für Bus und Tram gewinnen müssen, um das altersbedingte Ausscheiden von Kollegen kompensieren zu können“, so Kraus. Die VDV-Umfrage zeigt eine Branche, die aktiv auf dem Arbeitsmarkt unterwegs ist: Insgesamt haben 82 Prozent der Verkehrsunternehmen 2022 mehr Personal eingestellt als noch 2021 – obschon bereits im Vorjahr und trotz Corona die Zahlen zugelegt hatten.

39 Prozent der Unternehmen nehmen ein gesteigertes Interesse an der Arbeit in der Branche wahr, jedes Zweite registriert eine gleichbleibende oder höhere Zahl an Bewerbungen. Die Bewerber haben eine attraktive Auswahl an Einstiegsmöglichkeiten, mit sicheren, zunehmend flexibleren, sinnstiftenden Jobs, die ihren Beitrag zum Klimaschutz, für höhere Verkehrssicherheit und für lebenswertere Kommunen leisten: Vom Fahrpersonal, über Kaufleute bis hin zu den technischen und organisatorischen Spezialisten aller Couleur.

Kraus: „Freilich suchen wir für den klassischen Fahrdienst am stärksten, immerhin sind dort branchenweit rund 100.000 Leute beschäftigt. 48 Prozent der Unternehmen geben an, dass die Besetzung von Fahrdienst-Positionen aktuell die größte Herausforderung ist, gefolgt von gewerblich-technischen (14) und Ingenieurs-Positionen (13). Die Verkehrsunternehmen stehen dabei in Wettbewerb, beispielsweise mit der Logistik- und Plattformbranche.“

Gleichzeitig wird in der Branche Kritik an Bildungspolitik geübt: 77 Prozent der Unternehmen sagen, dass sich die Qualifikation der Bewerber verschlechtert oder sogar stark verschlechtert hat. Als Reaktionen schlägt man etwa Angebote an Rentner vor, in Teilzeit im Betrieb zu bleiben, familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch die Möglichkeit, das Mindestalter abzusenken. Denn der Personalbedarf ist hoch und wird weiter stark steigen.

Siehe auch: Gutes Personal als Schlüssel für eine gute Zukunft

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