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Mentalitätsprobleme müssen vor Ort gelöst werden

01.12.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Es stimmt also: Viele Bürger würden gerne auf öffentliche Verkehrsmittel umsteigen, wenn sie eine ähnliche Mobilitätsverfügbarkeit bieten würden wie das (eigene) Auto. Das ist aber leider oftmals nicht der Fall. Was mache ich denn, wenn so ein Bus nur einmal die Stunde fährt (oder seltener), wenn um 18 Uhr Betriebsschluss und man vielleicht noch zwischen 19 und 22 Uhr ein Nachtangebot hat? Wer im harten Dreischichtsystem arbeitet, der muss womöglich auch sonntags um 6 Uhr bei der Frühschicht sein.

Wenn aber vor 8 Uhr kein Bus fährt, dann braucht der Schichtarbeiter in jedem Fall ein Auto und das wird er dann auch in der Woche nutzen. Für viele andere ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel unverhältnismäßig teuer, gerade weil ja so oder so ein Auto vorgehalten werden muss. Ob man das insbesondere im urbanen Raum wirklich muss, ist eine andere Frage, die man je nach Situation gesondert erörtern kann.

Die Carsharing-Angebote in den letzten Jahren sind erheblich ausgeweitet worden und haben dafür gesorgt, dass auch dann eigentlich immer ein Auto in der Nähe ist, wenn man das nur kurzzeitig mietet und nicht besitzt. Aber gerade auch die Mittelstädte stehen oft nicht so gut da. Hier sind die Carsharing-Firmen ebenso gefordert wie die örtliche Politik, Lösungen zu finden, dass man die Kurzzeitmietwagen auch in Städten zwischen 20.000 und 100.000 Einwohnern findet. Das entbindet die Verantwortlichen aber nicht, auch konventionelle Angebote vernünftig aufeinander abzustimmen.

Es ist der integrale Taktfahrplan, der durch seine Verlässlichkeit ein Gegengewicht zur dauerhaften Mobilitätsverfügbarkeit des eigenen Autos bilden soll. Wenn ich aber in Witten abends nach 20 Uhr mit dem RE 4 aus der Landeshauptstadt Düsseldorf ankomme und am Hauptbahnhof 56 Minuten auf die Bogestra-Buslinie 376 warten muss, dann hat man ein Problem, das sich nicht durch tatsächliche oder vermeintliche Untersubventionierung erklären lässt.

Hier haben die öffentlichen Verkehrsmittel neben einem möglichen Finanzierungsproblem auch ein reales Mentalitätsproblem. Wie löst man das? Von oben gar nicht. Man kann nicht immer, wenn ein kommunales Planungsamt meint, seinen Busverkehr ohne Rücksicht auf das Schienenangebot am Hauptbahnhof planen zu müssen, den übergeordneten Verkehrsverbund oder den Verkehrsminister zur Hilfe rufen. Dafür sind diese Stellen nicht da und dafür haben die auch nicht die Kapazität.

Man muss attestieren, dass gute öffentliche Verkehrsmittel nur mit viel Engagement vor Ort gestaltet werden können. Man braucht die enge Zusammenarbeit zwischen Bürgern, der Verwaltung und der Politik. Ein Wahlkreisabgeordneter aus dem Bundestag oder dem Landtag kann deutlich mehr bewirken als ein Verkehrsminister. Zukünftige Bundesregierungen werden sich wohl immer wieder einen Deutschlandtakt in die Koalitionsverträge schreiben. Aber gerade die kommunale Umsetzung wird nicht im Bundestag und nicht im Verkehrsministerium gemacht. Hier braucht man Herzblut und Leidenschaft vor Ort.

Siehe auch: Jeder Dritte wünscht sich bessere ÖPNV-Anbindung
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