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Auch an den grauen Alltag denken

03.11.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Zunächst hat man in Schleswig-Holstein gesehen, dass die Bieterresonanz nach wie vor hoch ist, wenn die Züge durch die Aufgabenträger angeschafft werden. Interessant ist jedoch die Frage, wie genau die Risikoaufteilung jetzt ausgestaltet ist: Denn wir reden ja hier gerade über eine Technologie, die bislang nicht marktüblich ist. Im Gegenteil, niemand weiß, wie lange Akku-Triebzüge über die Jahrzehnte halten.

Was passiert, wenn in einer dreißigjährigen Laufzeit mehrfach für mehrere Millionen Euro neue Akkus angeschafft und die alten entsorgt werden müssen, weil die Leistung über die Jahre extrem nachlässt? Wir wissen Stand jetzt überhaupt nicht, ob man nicht im Jahr 2030 oder 2035 regelmäßige Zugausfälle hat, weil die Züge in den Nachmittagsstunden wegen Energiemangel im Akku liegenbleiben.

Die Idee, dass ein Zug auf einem elektrifizierten Abschnitt aus der Oberleitung nachlädt, um dann ohne Oberleitung aus der Batterie seinen Saft zu ziehen, ist in der Theorie alt, aber in der Praxis wenig erprobt. Nun haben wir gerade in diesem Jahr gesehen, was passiert, wenn so ein Verkehrsvertrag aufgrund äußerer Umstände aus den schwarzen in die roten Zahlen läuft – auch, weil man im Vorfeld keine vernünftige Risikoaufteilung zwischen Auftragnehmer- und Auftraggeber hatte, sondern davon ausging, dass der Status Quo am Anfang des Verkehrsvertrages dauerhaft anhält.

Das tut er aber nicht und wenn wir von einer solchen Hokuspokus-Technologie sprechen, dann muss man sich im Vorfeld mit den wirtschaftlichen Risiken beschäftigen, die damit einhergehen können. Was passiert denn, wenn die Züge vielleicht aufgrund genereller Probleme längere Ausfallzeiten haben? Hält der Aufgabenträger womöglich ältere Dieselfahrzeuge vor oder wie geht man in einem solchen Fall mit möglichen Problemen um?

Denn in einem wichtigen Punkt hat der Aufgabenträger ja eine Vorgabe gemacht: Konventionelle Dieselzüge, die man in zuverlässiger Form einfach so „von der Stange“ kaufen kann, waren nicht zugefallen. Ob Wasserstoffantrieb oder Batteriezüge oblag den sich beteiligenden Fahrzeugherstellern, aber ob diese alternativen Antriebe marktfähig im Vergleich zur konventionellen Dieseltraktion sind, bleibt unbekannt.

Das Problem ist dabei auch ein anderes, ein politisches: All die Mandatsträger aus Schleswig-Holstein, die Bürgermeister und Landräte, die Wahlkreisabgeordneten aus dem Bundestag und dem Kieler Landtag: Sie alle rufen nach Dekarbonisierung im SPNV, aber keiner von denen wird in Erscheinung treten, wenn es zu ernsthaften Problemen kommt.

Wenn regelmäßig Fahrgäste vergeblich auf ihren Zug warten und dieser mit einem mal wieder vorzeitig entladenen Akku liegengeblieben ist, möchte keiner von denen damit assoziiert werden, die jetzt den Ausstieg aus zuverlässiger Dieseltraktion für ihre eigenen Erfolge ausgeben. Und so darf man gespannt sein, ob Antriebsarten, die so alt sind wie der Dieselmotor, sich aber nie durchsetzen konnten, nun ihren Erfolgszug starten oder ob es nur ein mit politischen Mitteln generiertes Strohfeuer bleibt.

Siehe auch: Akkuzug-Testfahrten in Schleswig-Holstein
Foto: Nah.SH

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