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Organische Fortsetzungen schaffen

18.07.22 (Allgemein) Autor:Stefan Hennigfeld

Es wäre wirklich traurig, wenn das Neun-Euro-Ticket Ende nächsten Monats ausläuft wir nichts hatten außer einen Sommer von Bus und Bahn und danach ist alles wieder wie eh und je. Dann hätte man die Abokunden mal ein Vierteljahr finanziell entlastet, aber danach ist der alte Standardpreis im Monat für die Zeitkarte wieder fällig, als wäre nichts gewesen. Die Idee, das Ticket zumindest bis zum Jahresende zu verlängern, wäre insofern begrüßenswert als dass man Zeit gewinnen würde, die man dann aber auch nutzen muss, um ein Nachfolgekonzept zu erarbeiten, das dann dauerhaft gelten soll.

Die Idee, ein bundesweit gültiges 69-Euro-Ticket anzubieten ist dabei wohl eher dem Aktionismus geschuldet als der Bestrebung, Pendler finanziell zu entlasten. Zum einen ist es gar nicht mehr so viel billiger als eine bis Ende Mai handelsübliche Zeitkarte eines Verkehrsverbundes. Je nachdem, in welchem Raum ich mich bewege, zahle ich dabei schon jetzt weniger. Zum anderen muss ein Pendler zuverlässig zur Arbeit, Ausbildung, Schule oder Hochschule kommen und eben gerade nicht bundesweite Spaßfahrten machen.

Der Berufspendler, den man finanziell entlasten möchte, der fährt nicht von Flensburg nach Füssen mit dem Regionalverkehr, sondern der muss verlässlich morgens um sieben mit dem Regionalexpress drei Stationen fahren, um zur Arbeit zu kommen. Natürlich mag ein Preisdeckel von 69 Euro hier für viele irgendwo auch eine Entlastung sein, aber es ist eben gerade nicht die organische Nachfolge des Neun-Euro-Tickets und es fällt sogar hinter die Idee des 365-Euro-Jahrestickets zurück, dass man also für einen Euro am Tag in seinem Verkehrsverbund oder vielleicht sogar in seinem Bundesland unterwegs sein kann.

Denn natürlich werden mit dem Neun-Euro-Ticket Fahrten gemacht, die man bei einem marktgerechten Preis einfach nicht hätte. Ein Blick auf die Nordseeinsel Sylt zeigt, dass dort nicht nur Stammgäste deutlich billiger angereist sind, sondern auch zahlreiche Touristen, die ohne das gesonderte Ticket wohl kaum dorthin gekommen wären.

Außerdem frage ich mich, ob der Vorschlag wohl mit DB Fernverkehr abgesprochen ist: Wie sieht man es dort, wenn durch bundesweit gültige Verbundfahrscheine auf einmal der SPFV kannibalisiert wird? Zumindest warnt man dort bei jeder RE-Leistungsausweitung vor Effekten, die die wirtschaftliche Tragfähigkeit einiger Fernverkehrszüge bedrohen könnten. Oder hofft man bei der DB AG vielleicht darauf, im nächsten Schritt deutlich öfter Regionalisierungsgelder für die Fernzugnutzung abgreifen zu können?

Wir sehen ja bereits jetzt, dass man sich die Nutzbarkeit von Fernzügen durch das Neun-Euro-Ticket zusätzlich zu schon vorhandenen Ausgleichszahlungen noch einmal extra bezahlen lässt. Möglicherweise, und das traue ich den politischen Entscheidungsträgern im DB-Konzern zu, denkt man hier gleich mehrere Schritte voraus. Aber die Aufgabenträger sind auch selbst schuld, wenn sie sich in die Abhängigkeit begeben. Aber für die Fahrgäste muss man eine vernünftige Lösung finden.

Siehe auch: VDV evaluiert Neun-Euro-Ticket und fordert Nachfolgekonzept
Foto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger

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