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Die Eisenbahn macht sich lächerlich, wird aber gebraucht

28.07.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Das mit der Abmahnung gegen ein Eisenbahnverkehrsunternehmen ist immer so eine Sache, denn letztlich sind die gegenseitigen Abhängigkeiten so groß, dass der Auftraggeber auf seinen Auftragnehmer genauso angewiesen ist wie umgekehrt. Dennoch ist es natürlich nicht akzeptabel, wenn selbst nach sechs Wochen der Schienenersatzverkehr, der durch das Eisenbahnunglück in Bayern notwendig wird, nicht funktioniert.

Ähnliches hat man ja auch letztes Wochenende in Nordrhein-Westfalen gesehen, als die gesamte S-Bahn nahezu vollständig eingestellt wurde, weil es keine Mitarbeiter für die Leitstellen gab und Lokomotivführer auch traditionell Mangelware sind: Teilweise wurde sogar versucht, S-Bahnen durch Großraumtaxen zu ersetzen, was natürlich zum Scheitern verurteilt war.

Wie will man auch die Fahrgastmassen aus einer normalen S-Bahn rund um Köln in ein Taxi mit fünf oder sieben Sitzplätzen kriegen? Ist das die starke Schiene im Alltag, von der immer alle sprechen? Wir befinden uns im selbst angekündigten „Jahrzehnt der Baustellen“, wollen aber am Ende dieses durch Streckensperrungen, Ersatzbusse und ähnliche Unannehmlichkeiten geprägten Jahrzehnts die Fahrgastzahlen verdoppelt haben? Während gleichzeitig der Bestandsverkehr immer wieder kollabiert oder nächtliche Streckensperrungen allein durch fehlende Fahrdienstleiter für die Stellwerke notwendig werden?

Ein wenig mehr Realität täte so manch einem Eisenbahnlobbyisten durchaus gut. Stichwort nächtlicher Verkehr: Gerade der Güterverkehr ist ja darauf angewiesen, dass die Züge in den Nachtstunden relativ problemlos, zumindest ungestört durch Personenzüge, das Netz nutzen können, um voranzukommen. Das gilt natürlich nicht für Güterzüge mit mehreren tausend Kilometern Laufleistung.

Aber so ein Kohlenzug vom Duisburger Hafen zum Kraftwerk kann durchaus in der Nacht fahren. Das ist gerade in der jetzigen Situation wichtig, wo wir aufgrund der Erdgaskrise die Laufzeit unserer Kohlekraftwerke verlängern möchten bzw. geplant ist, als Reserve vorgehaltene Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen.

Hier spielt die Eisenbahn eine entscheidende Rolle: Die Festbrennstoffe, die die jetzt wieder ans Netz gehenden Kraftwerke benötigen, werden über die Schiene gebracht. Doch gibt es in der Branche überhaupt genügend Lokomotiven und Waggons? Gibt es ausreichend Lokomotivführer und Werkstattkapazitäten (samt Personal) für die Instandhaltung dieser Fahrzeuge? Wie sieht es aus mit der verlässlichen Befahrbarkeit der Eisenbahnstrecken auch in der Nacht?

Hierbei geht es sowohl um Baustellen, die ja gerade bei kleineren Maßnahmen oft nachts und am Wochenende laufen, um den Personenverkehr möglichst wenig zu beeindrucken, es geht aber auch um die Nutzbarkeit der Strecken, weil die Stellwerke besetzt sein müssen. Schon ein einzelnes Stellwerk, das wegen Personalmangel unbesetzt bleibt, kann eine ganze Strecke für Stunden außer Betrieb nehmen, während man in den Kraftwerken auf Brennstoffe wartet. Uns steht also ein heißer Herbst bevor.

Siehe auch: BEG kritisiert Infrastrukturzustand
Foto: Deutsche Bahn AG / Christian Bedeschinski

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