Wirtschaftlichkeiten realitätsnah bewerten
30.06.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Wenn die Einbindung des Prignitz-Express parallel zum Verlauf der S25 an einer standardisierten Kosten-Nutzen-Rechnung scheitert, dann ist das natürlich sehr ärgerlich. Es ist bei Prüfungen dieser Art auch generell zu beachten, dass man mit modernen Zahlen rechnet und auch mit dem vollen Nutzen. Wenn man für einen auf den Zug umsteigenden Autofahrer Spritpreise von einem Euro pro Liter annimmt, dann ist das nicht mehr zeitgemäß.
Grundsätzlich muss man bei der Frage nach Kosten-Nutzen-Abwägungen neben den vollen Kosten auch zusätzlich zum Personenverkehr den möglichen Nutzen einberechnen, den (geringfügiger) Güterverkehr auf einer solchen Strecke mit sich bringen kann. Schon die Anbindung einer einzigen Firma und das einsparen weniger Lastwagenfahrten pro Woche kann sich hier auswirken. Hier muss man sicherstellen, dass 1. die Formel vernünftig aufgestellt wird und dass 2. in diese Formel dann auch zeitgemäße und realistische Zahlen eingesetzt werden.
Hier ist die Ampelkoalition im Bund gefragt, die Förderrichtlinien entsprechend anzupassen, aber auch die einzelnen Landesregierungen sind am Zug und müssen dafür sorgen, dass man realistische Zahlen rauskriegt. Denn vergessen wir nicht, dass man gerade in den 1990er und frühen 2000er Jahren oftmals nicht den politischen Willen hatte, große Eisenbahnprojekte umzusetzen, sondern das Gegenteil: Die Schiene war out, die Bahn sollte an die Börse und ganz subjektive ergab sich nicht selten der Eindruck, dass der eine oder andere Verkehrsminister in gewisser Weise sogar froh war, wenn einzelne Schienenprojekte durch die Berechnung gefallen sind und daher vergessen werden konnten.
Heute sieht das anders aus und da sieht man zurecht auch immer wieder politisches Engagement, hier was zu ändern. Nur eins ist auch klar: Man muss beim Neu- und Ausbau von Eisenbahnstrecken im Vorfeld eine ehrliche Wirtschaftlichkeitsberechnung vornehmen, bevor man hier Haushaltsmittel versenkt. Zum einen, weil man sicherstellen muss, dass tatsächlich die sinnvollsten Projekte gefördert werden. Zum anderen weil sich der Ruf solcher Maßnahmen deutlich verschlechtert, wenn sich im Anschluss der erwünschte Erfolg nicht einstellt.
Wir leben nicht mehr in irgendeiner Pionierzeit der Eisenbahn, als man auf gut Glück einfach mal Gleise gebaut hat, um die jeweils nächste Stadt an die Eisenbahn und damit auch an den Fortschritt anzuschließen. Denn das ist gerade im Zulauf auf die Bundeshauptstadt Berlin wichtig. Hier muss man sich auch mit der Frage beschäftigen, welche Wachstumsimpulse für die Orte ausgehen, die in Zukunft deutlich besser im VBB-Tarif aus Berlin erreichbar sind.
So manche brandenburgische Kleinstadt könnte einen wahren Aufschwung erleben, wenn man im verlässlichen Taktverkehr schnell und qualitativ hochwertig Berlin erreichen kann. In Zukunft werden noch deutlich mehr Menschen in den umliegenden Städten wohnen und auch das muss man im Rahmen von Projekten wie i2030 oder dem Deutschlandtakt umfassend vorbereiten.
Siehe auch: http://www.zughalt.de/?p=73038
Foto: Deutsche Bahn AG / Pierre Adenis