DB AG plant massiven Infrastrukturausbau
02.06.22 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Der DB-Vorstandsvorsitzende Richard Lutz hat sich angesichts stark steigender Nachfrage im Personen- und Güterverkehr und eines gleichzeitig hochbelasteten und störanfälligen Schienennetzes für einen Paradigmenwechsel in der Infrastruktur ausgesprochen. In einer telefonischen Pressekonferenz am Montag in Berlin bezeichnete er die Sanierung des Schienennetzes als zentrale Aufgabe in den kommenden Jahren.
Lutz erwähnte Äußerungen von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) vom Wochenende, der auf das gemeinsame Ziel eines Hochleistungsnetzes hingewiesen hatte. Hinsichtlich der konzeptionellen Überlegungen stehe man in engem Austausch mit dem BMDV. Die Detaillierung des Konzepts und die Umsetzungsschritte in den nächsten Jahren wolle man im Schulterschluss zwischen Bund, Bahn und der Branche angehen. Ziel sei eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur aus einem Guss.
Lutz: „Für mich bedeutet eine gemeinwohlorientierte Infrastruktur vor allem eine Ausrichtung auf die verkehrs- und klimapolitischen Ziele der Bundesregierung. Diese Ziele hat sich die DB im Rahmen ihrer Strategie Starke Schiene und die gesamte Branche im Rahmen des Masterplans Schienenverkehr zu eigen gemacht. Der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele liegt in der Infrastruktur.“
Idealerweise sollen Eckpunkte des Konzepts noch vor der Sommerpause vorgestellt werden. Lutz verwies auf die aktuelle Entwicklung auf den Verkehrsmärkten, wonach Fahrgäste und Güterverkehrskunden erfreulicherweise schneller zur Schiene zurückkehren als erwartet. Lutz: „Die aktuelle Nachfrage bestätigt unsere Grundüberzeugung, dass die Wachstums- und Verkehrsverlagerungsziele der Bundesregierung realistisch sind.“
Noch nie waren auf dem deutschen Netz so viele Züge unterwegs wie in diesen Tagen. Das Streckennetz, auf dem diese steigende Nachfrage abgewickelt werde, sei aber nicht mitgewachsen. Gleichzeitig habe sich die Substanz weiter verschlechtert, weil viele Anlagen überaltert und deshalb störanfällig seien. Bund und Bahn hätten zwar seit einigen Jahren umgesteuert. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass dieses Modernisierungsprogramm eine nie dagewesene Anzahl an Baustellen mit sich bringe, die zusätzliche Kapazität kosten und massive betriebliche und verkehrliche Auswirkungen nach sich ziehen.
Lutz weiter: „Die aktuelle Betriebslage zeigt ebenso deutlich wie schmerzhaft, dass wir ein kurzfristig kaum auflösbares Dilemma haben: Gleichzeitig Wachsen und Modernisieren ist an zu vielen Tagen und auf zu vielen Korridoren nicht mehr mit guter Betriebsqualität und Pünktlichkeit möglich. Die massiven Auswirkungen spüren alle Eisenbahnverkehrsunternehmen und damit auch alle Fahrgäste, Aufgabenträger und Güterverkehrskunden. Dessen sind wir uns bewusst.“
Die Bahn versuche alles, die negativen Auswirkungen zu minimieren. Lutz dankte allen Eisenbahnern im operativen Bereich für ihren unermüdlichen Einsatz. Im Interesse aller brauche es jetzt ein grundsätzliches Umsteuern und ein Arbeiten an nachhaltigen Lösungen, die das Problem im Kern angingen.Anders jedoch sieht man die Sache beim Netzwerk Europäischer Eisenbahnen. Der Verband erwartet deutlich mehr von der DB AG.
Achtzig Prozent der Qualität des Eisenbahnsystems entscheiden sich auf dem Schienennetz. Die aktuellen Zuverlässigkeits- und Qualitätsprobleme des Verkehrsträgers Schiene sind im Kern Kapazitäts- und Überalterungsprobleme in der Infrastruktur. Für das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen mache Richard Lutz es sich zu einfach.
Verbandsgeschäftsführer Ludolf Kerkeling: „Wer die Wachstumsziele für die Branche und die Klimaschutzziele einhalten will, kann nicht ernsthaft die Verlagerung auf die Straße in die Rechnung aufnehmen. Wir stehen gerne für Diskussionen über die weitere Vorgehensweise zu Verfügung, allerdings werden wir um jeden Verkehr kämpfen, damit er auf der Schiene bleibt. Die DB sollte nicht schon vor den Diskussionen mit weißen Fahnen wedeln.“
Kerkeling: „Aus unserer Sicht muss eine Abstimmung mit der Branche bedeuten, dass nicht nur Kundenbedürfnisse bei den aktuell anstehenden Baumaßnahmen frühzeitig einbezogen werden, sondern auch, dass die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Pläne einer Neustrukturierung der Infrastruktursparte über die bislang sehr unkonkreten Aussagen von Bundesminister Wissing nicht in Vergessenheit geraten.“
Siehe auch: Kleinere Brötchen backen