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Viel Bewegung in aufregenden Zeiten

07.04.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Dass man einen Big Player wie Abellio Rail NRW es war von jetzt auf gleich ersetzen muss, ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Eisenbahnreform und der Regionalisierung. Es gab im Jahr 2019 die Insolvenz der Städtebahn Sachsen, aber die ist im Vergleich zum langjährigen Qualitätsführer Abellio Rail NRW fast schon vernachlässigbar klein. Dabei ist es zwar nicht gelungen, eine Perspektive zu schaffen, aber zumindest ist das große Chaos ausgeblieben.

Man stelle sich einmal vor, da hätten im tiefsten Winter wirklich langjährige Stammkunden an den Bahnsteigen gestanden und es wären keine Züge gefahren – und das mitten in der Corona-Zeit, in der man ohnehin einen Fahrgastschwund verzeichnen muss. Dabei bleiben die Fahrgäste nicht weg, weil sie unzufrieden wären, sondern weil sich durch Corona die Lebens- und Arbeitsrealitäten verändert haben. Wer nicht mehr jeden Tag, sondern nur noch dreimal im Monat ins Büro geht und ansonsten von Zuhause aus seinem Beruf nachgeht, der braucht eben keine Monatskarte mehr, es lohnt sich nicht.

Für diese (ehemaligen) Zeitkarteninhaber hat man nun zahlreiche Angebote neu geschaffen, die noch vor einigen Jahren undenkbar sind. Denn derjenige, der nicht mehr an zwanzig, sondern nur an drei Arbeitstagen im Monat in sein Büro fährt, ist ja mit Bussen und Bahnen nicht unzufrieden. Im Gegenteil, was man hier in den letzten Jahren aufgebaut hat, ist wirklich beeindruckend gut und die steigenden Fahrgastzahlen bis einschließlich 2019 haben das auch überdeutlich gezeigt.

Und gerade angesichts explodierender Spritpreise wird der eine oder andere sich jetzt überlegen, ob man nicht das Auto lieber stehen lassen soll, ob nicht Busse und Bahnen zumindest eine Chancen kriegen sollten. So gut die Idee #9für90 ja gemeint ist, so unvorbereitet hat sie die gesamte Branche, ihre Akteure, Unternehmen und Verbände getroffen.

Deshalb ist es Zeit, mit einigen Missverständnissen und Unsicherheiten aufzuräumen: Wer eine Zeitkarte hat, egal in welchem deutschen Verkehrsverbund und egal, welche Ticketsorte genau, kann unbesorgt sein: Jeder wird profitieren und niemand, der jetzt zwischen fünfzig und hundert Euro im Monat bezahlt, muss seine Zeitkarte kündigen, nur auch in den Genuss des Sonderangebotes kommen zu können. Auch wenn einzelne Organisationsfragen, etwa ob nur neun Euro pro Monat abgebucht werden oder ob es Gutschriften gibt, derzeit noch ungeklärt sind.

Wer es indes nur mal ausprobieren möchte, wer vielleicht seit Jahren weder mit Bussen noch mit Bahnen gefahren ist, kann sich dieses Sonderaktionsticket kaufen ohne Angst haben zu müssen, anschließend in irgendeinem sündhaft teuren Knebelvertrag zu stecken. Jeder ist eingeladen, es einfach mal auszuprobieren. Viele werden es machen, es wird eine große Herausforderung, mit zusätzlichen Fahrgastmassen klarzukommen. Aber darum geht es doch: Autofahrer zum Umstieg zu bewegen. Wer ernsthaft eine Verkehrswende möchte, der kann jetzt allen zeigen, wie gut öffentliche Verkehrsmittel sind. Der Umstieg lohnt sich.

Siehe auch: VRR: Bilanz zum zweiten Coronajahr 2021
Foto: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR

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