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Der Sommer von Bus und Bahn

28.04.22 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

In den letzten Jahren habe ich einseitige Forderungen aus den Ländern an den Bund immer abgelehnt und darauf verwiesen, dass wir es bei der Finanzierung öffentlicher Verkehrsmittel mit einer gesamtstaatlichen Aufgabe zu tun haben. Die Branche sollte auf diese gesamtstaatliche Aufgabe bestehen anstatt die gegenseitigen Forderungen verschiedener föderalistischer Einheiten zu unterstützen.

Im Falle des geplanten #9für90-Tickets allerdings war es der Bund, der ohne das vorher mit irgendwem abzusprechen, an die Öffentlichkeit getreten ist und etwas angekündigt hat. Der Branchenverband VDV war genauso überrascht wie die Verkehrsverbünde und die Landesministerien. Dabei hätte man wissen müssen, dass nicht nur immense Mehrkosten mit einer solchen Aktion einhergehen, sondern dass man es auch mit einem Nachfrageschub zu tun kriegen wird, auf den man völlig unvorbereitet ist.

Wie viele zusätzliche Züge muss denn bestellen, um den zusätzlichen Fahrgastmassen gerecht zu werden? Gibt die Infrastruktur die notwendigen zusätzlichen Fahrten überhaupt her? Was ist mit den weitgehend auf die Ausschreibungsnetze zugeschnittenen Fuhrparks der Verkehrsunternehmen? Gibt es das Rollmaterial, das man bräuchte, um dem zu erwartenden Andrang gerecht zu werden? Und wenn das alles möglich wäre, wo sollen die Eisenbahner herkommen, die diese zusätzlichen Fahrten dann auch wirklich im Alltag leisten?

Bereits seit Jahren pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass man angesichts des massiven Personalmangels zwar eine ganze Menge zusätzlicher Züge in den Fahrplan schreiben kann, dass es aber weitgehend unmöglich wäre, diese auch zu betreiben. Über nichts davon hat man sich Gedanken gemacht, als die Idee rauskam, von jetzt auf gleich wegen der gestiegenen Kraftstoffpreise ein solches Ausnahmeangebot auf den Markt zu werfen.

Wenn es richtig übel aussieht, dann werden sich viele potentielle Umsteiger sehr schnell abwenden, weil ihnen die öffentlichen Verkehrsmittel viel zu voll sind. Allerdings ist das auch die Möglichkeit, die man hat, wirklich neues Kundenpotential zu erschließen. Nein, es ist nicht das gleiche, wenn man den Ländern oder Kommunen einfach das vielfach zitierte „mehr Geld“ in die Hand gibt und hofft, dass dann alles gut wird.

Gigantische Summen nicht verausgabter Regionalisierungsgelder in den Ländern zeigen, dass es eben gerade keine Zauberformel gibt, die besagt, dass man oben nur mehr Geld reinschütten muss und dass unten dann qualitativ und quantitativ verbesserte öffentliche Verkehrsmittel rauskommen. Im Gegenteil, wir wissen inzwischen, dass diese vulgäre Interpretation der Pferdeäpfeltheorie eben nicht klappt.

Deshalb überwiegen ganz sicher die Vorteile bei so einem Angebot, schon allein weil Busse und Bahnen auf einmal eine Präsenz in den abendlichen Hauptnachrichten hatten, wie man es sonst nur von GDL-Streiks in schweren Eskalationsstufen kennt. Nun gilt es, die positive Präsenz in der Tagespresse zu nutzen und einen Sommer von Bus und Bahn auszurufen.

Siehe auch: Neue Diskussionen um #9für90-Ticket
Foto: hpgruesen

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