Bundesregierung kündigt #9für90 an
28.03.22 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Völlig überraschend hat die Bundesregierung am vergangenen Donnerstag im Rahmen eines allgemeinen Entlastungspakets die Aktion #9für90 angekündigt. Sie besagt, dass jedermann künftig für neun Euro pro Monat drei Monate am Stück die öffentlichen Nahverkehrsmittel nutzen kann. Noch unklar ist indes, ob das nur am jeweiligen Wohnort, im jeweiligen Bundesland oder vielleicht sogar in ganz Deutschland gilt.
Durchgesickert ist allerdings schon, dass die Refinanzierung dieses Einmalangebotes durch einmalige Aufschläge auf die Regionalisierungsgelder erfolgen soll. Die weitere Verteilung in den Ländern wäre dann Sache der jeweiligen Landesregierungen. Infolge der Ankündigung wurden die Verkehrsunternehmen bundesweit von Presse- und Kundenanfragen überhäuft, sodass einige sich gezwungen waren, ihrerseits aktiv an die Öffentlichkeit zu gehen und mitzuteilen, dass man derzeit nichts anderes machen kann als auf weitere Informationen zu warten. Generell aber ist der Tenor aus der Branche bislang positiv.
Die EVG-Fraktion des Gesamtbetriebsrates bei DB Regio etwa lobt den Beschluss des Koalitionsausschuss, ein Neun-Euro-Ticket pro Monat für den ÖPNV einzuführen. „Nun kommt es darauf an, diesen Beschluss schnell und unbürokratisch für die Fahrgäste umzusetzen und auch deutlich zu machen, dass man mit dem Neun-Euro-Ticket jedes ÖPNV-Mittel nutzen kann – egal ob den Bus, die S-Bahn oder Regionalzüge“, so der stellvertretende Vorsitzende Ralf Damde.
Damde: „Wir fordern die politischen Entscheidungsträger dazu auf, das Neun-Euro-Ticket pro Monat nicht als eine einmalige Sache anzusehen, sondern die Erkenntnisse aus dem dreimonatigen Zeitraum zu nutzen, um danach über neue Angebotsformen im ÖPNV ernsthaft nachzudenken. Hier könnten ein dauerhaftes 9 Euro-Monatsticket, ein 365 Euro Jahresticket oder sogar ein kostenloser ÖPNV Möglichkeiten sein, um den öffentlichen Personennahverkehr dauerhaft – und nicht nur in Kriegs- und Krisenzeiten – attraktiver zu machen.“
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass die öffentlichen Verkehrsmittel „nicht krisenfest aufgestellt“ seien. Der ÖPNV sei „ strukturell unterfinanziert, dabei überreguliert und er erfüllt schon gar nicht die an ihn durch die Verkehrswende und die Klimakrise gestellten, gestiegenen Ansprüche“. Insbesondere die Situation, von Rettungsschirm zu Rettungsschirm zu denken sei unbefriedigend. Selbstverständlich sei es sehr zu begrüßen, dass im Mobilitätsbereich neben der ebenfalls beschlossenen Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe für drei Monate der ÖPNV so gesondert gefördert werden soll.
Konkret fordert der VCD: „Wir brauchen deshalb gesetzlich verankerte, definierte Mindestbedienstandards – am besten jede Stunde jede Richtung mindestens für Orte ab 200 Einwohnern. Der Bund muss sich neben einer adäquaten Erhöhung der Regionalisierungsmittel mit einem definierten substantiellen Nahverkehrsbeitrag an den Betriebskosten des ÖPNV in der Fläche beteiligen. Allein mit Fahrtgeldeinnahmen und Ländermitteln kann die für die Verkehrswende notwendige Kapazitätserhöhung und eine erforderliche Mobilitätsgarantie in der Fläche nicht erreicht werden. Dass der Bundesverkehrsminister Erhöhungen der ÖPNV Finanzierungskomponenten nur gegen ein verbessertes Controlling gewähren will, ist verständlich und geboten.“
Derweil ruft der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) die Zeitkarteninhaber dazu auf, selbige nicht zu kündigen, um das neue Angebot in Anspruch nehmen zu können. Die Aktion #9für90 wird auch für Stammkunden gelten, deren Fahrschein wird sich entsprechend für die Dauer des Aktionszeitraumes verbilligen. Allerdings liegen auch hier noch keine konkreten Informationen vor.
Auch Alexander Pischon, baden-württembergischer Landesgruppenvorsitzender des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Geschäftsführer des Karlsruher Verkehrsverbunds (KVV) hat sich zu Wort gemeldet: „Ich begrüße es sehr, dass die Koalition in dieser schwierigen Ausnahmesituation gezielt auf den ÖPNV setzt. Die Verkehrsverbünde und Nahverkehrsunternehmen in Baden-Württemberg werden mit ihrem attraktiven Angebot selbstverständlich einen wichtigen Beitrag leisten, um diese Krise gesamtgesellschaftlich zu bewältigen. Der Beschluss der Bundesregierung kommt etwas überraschend. In den kommenden Tagen werden die Details dieser Regelungen und die Umsetzung in der Praxis zu klären sein.“
Siehe auch: Alles bei #9für90 einsteigen