Alles bei #9für90 einsteigen!
28.03.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Nach einigen Tagen totaler Verwirrung muss man wohl sagen: Das ist eine gute Idee. Viele Menschen werden potentiell ihre subjektiven Zugangshürden zu öffentlichen Verkehrsmitteln verlieren, wenn sie es in einer bundesweiten Aktion für einen symbolischen Monatsbetrag einfach mal ausprobieren können. Manch einer merkt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel von heute gar nichts mehr mit den anrüchtigen Erinnerungen der eigenen Jugend zu tun haben.
Man kann hier sicherlich neue Fahrgäste finden, wenn denn auch das Fahrangebot vernünftig ist. Da ist etwa die Forderung aus dem VCD richtig, dass man allen Orten ab einer bestimmten Mindestgröße ein Grundangebot machen muss. Nun möchte ich gar nicht darüber diskutieren, ob es 200 Einwohner sein müssen, ob es erst ab 500 Einwohnern losgehen soll, aber ein verlässlicher Stundentakt mit gutem Anschluss an den nächsten SPNV-Zugangspunkt muss auch im ländlichen Raum die Regel sein.
Seit Jahren haben wir zudem Versuche, Mitfahrgelegenheiten oder Rufbetriebe in die Verbundangebote zu integrieren, auch hier muss man mehr Engagement zeigen. Es ist aber gleichzeitig auch wieder so typisch für die deutsche Eisenbahnpolitik, dass im Bundeskabinett etwas beschlossen wird und die Branchenakteure, die es dann möglichst zeitnah umsetzen sollen, wissen von nichts.
Wenn der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg dazu aufruft, nicht überhastet die Zeitkarten zu kündigen, dann sicher weil genau das der erste Gedanke vieler Bestandskunden gewesen ist: Was ist denn, wenn ich sowieso jeden Monat zwischen fünfzig und neunzig Euro für meine ÖPNV-Flatrate bezahle? Kriege ich dann auch das vorübergehende #9für90-Angebot oder muss ich in die Röhre gucken?
Wie sieht es, mit der Frage hat sich noch niemand beschäftigt, im Bereich des Semestertickets aus? Sind Studenten tatsächlich außen vor oder wird auch der Preis für das Semesterticket gesenkt, damit auch die vielen vornehmlich jungen Menschen profitieren, die gar kein direktes Vertragsverhältnis mit den Verkehrsunternehmen oder verbünden haben, sondern die ihren Fahrschein über die Studentenvertretung beziehen?
All das ist zu klären und deshalb kann man wohl davon ausgehen, dass es noch eine Weile dauert, bis das Angebot tatsächlich zum Tragen kommt. Wenn aber zur Refinanzierung ausgerechnet höhere Regionalisierungsgelder genutzt werden sollen, dann zeigt das auch die tiefergehende Problematik bei der Finanzierung öffentlicher Verkehrsmittel.
Wir sprechen hier von einer Finanzquelle, bei der es bereits massive Ausgabereste gibt und an der man sehen kann, dass eine auskömmliche Finanzierung zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für gute öffentliche Verkehrsmittel ist. Und genau da müssen die verantwortlichen Politiker vor Ort ansetzen: In den Kommunen, Stadträten und Kreistagen werden die Erfolgsgeschichten gemacht, die man nicht mit Geld kaufen und auch nicht auf Bundes oder Landesebene anordnen kann. #9für90 kann aber der richtige Einstieg sein.
Siehe auch: Bundesregierung kündigt #9für90 an
Foto: Deutsche Bahn AG / Wolfgang Klee