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Think Big!

07.02.22 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Also zunächst: München hat öffentliche Verkehrsmittel, die das urbane Leben ohne Auto wirklich ermöglichen. Das Problem ist, dass die Mietpreise dort inzwischen auf einem Niveau sind, dass das Leben in einem Wohnklo in der Innenstadt zum Luxus wird. Wir müssen uns, wenn wir den starken ÖPNV der nächsten Jahrzehnte und Generationen definieren möchten, mit der Frage beschäftigen, wo die Menschen leben werden und wieweit der urbane Raum geht.

Denn so schön es ja ist, wenn man in den Berliner Innenbezirken oder auch im Münchener Zentrum einfach nur zum Bahnsteig kommen muss und es wird in den nächsten Minuten ein Zug fahren, so wenig hilft das der steigenden Zahl an Menschen, die eben nicht zentral leben. Was ist in Köpenick oder in Erding? Was machen die Menschen, die jeden Tag zur Arbeit müssen, aber eben nicht alle paar Minuten eine beschleunigte S-Bahn vor der Tür haben?

Wie gehen Menschen mit öffentlichen Verkehrsmittel um, die für die Fahrt zum Bahnhof eine halbe Stunde mit irgendeinem Linienbus rumgurken müssen? Was mache ich, wenn in meinem Ort die S-Bahn nur im „nachfragegerechten“ 20/40-Minutentakt fährt, weil man 2007, um Geld zu sparen, das Angebot ausgedünnt hat (ausdünnen musste) und eine Wiederherstellung des Fahrplanangebotes aus dem Jahr 2005 „derzeit nicht in Planung“ ist?

Die Menschen fahren nicht mit dem Auto, weil sie böse Egoisten sind, sondern weil das Angebot mit öffentlichen Verkehrsmitteln oft zu einem auf den Monat gerechneten mehrstündigen Freizeitverlust führt. Und vielfach sind diese schlechten Verbindungen eben gerade nicht systemischer Natur, sondern liegen außerhalb der Ballungszentren an schlechter Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Planungsstellen oder einfach an allgemeinem Desinteresse der Politik.

Deshalb ist es vernünftig, dass man sich, wie jetzt in München, einmal genau die Stadt, den Verbund und das Umland ansieht und seine Gedanken macht, wie man dafür sorgen kann, dass der große Wurf gelingt. Schon im Rahmen der Angebotsoffensive 2010 bis 2020 gab es im letzten Jahrzehnt in und um München verlässlich mit jedem Fahrplanwechsel Angebotsverbesserungen und Leistungsausweitungen. Das ist notwendig und auch die kleinen Dinge können zum Erfolg führen.

Allerdings sollten wir uns nicht täuschen: Die vielfach als „besonders nachhaltig“ wahrgenommenen Mini-Ausbauten nach dem Motto „klein, schnell, billig“ sind mitnichten die alleinige Lösung des Problems. „Think big“ ist nicht immer falsch, gerade wenn man an München denkt: Ja zur zweiten S-Bahnstammstrecke und ja zu massiven Leistungsausweitungen ins Umland.

Denn alle praktischen Erfahrungen zeigen, dass die Menschen kommen, wenn das Angebot stimmt. Insbesondere in München, wo es nun wahrlich keinen Spaß macht, mit dem Auto durch die Stadt zu fahren, haben die öffentlichen Verkehrsmittel im Grunde jetzt schon die idealen Voraussetzungen. Wichtig ist, dass man was draus macht und im Jahr 2030 wirklich besser dasteht als jetzt.

Siehe auch: München: Gutachten zum Angebotsausbau
Foto: Deutsche Bahn AG / Uwe Miethe

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