Das Jahrzehnt der Baustellen ist jetzt da
18.10.21 (go.Rheinland, Kommentar, Nordrhein-Westfalen, NWL, Verkehrspolitik, VRR) Autor:Stefan Hennigfeld
Das klingt alles gut und dass man ein verbessertes Netz, eine leistungsfähigere Infrastruktur ist wohl unbestritten. Dennoch ist irgendwann der Punkt gekommen, wahrscheinlich längst überschritten, an dem man auch sagen muss: Die Bauaktivitäten im Netz sind kurzfristig nicht mehr hinnehmbar. Wenn man das also machen möchte, dann müssen jetzt für die Gegenwart und die kommenden Jahre Regelungen her, die die Kosten für verstärkte Streckensperrungen, Umleitungen, Ersatzverkehre und was alles damit einhergeht, gerecht verteilen.
Wenn baustellenbedingt von vier Millionen Zugkilometern im Beispielnetz 4711 im nächsten Jahr 500.000 ausfallen, dann reicht es nicht, wenn der Aufgabenträger diese Zugkilometer einfach nicht bezahlt, als seien sie durch das Verschulden des Betreibers ausgefallen. Hier müssen Kompensationen her, damit die Verkehrsverträge über ihre gesamte Dauer auskömmlich bleiben. Im Moment stehen wieder viele Neuvergaben an, nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch bundesweit.
Wenn man im Rahmen des Konzeptes Verkehrsvertrag 2.0 jetzt nicht gewährleistet, dass es für unkalkulierbare Risiken in der Infrastruktur Absicherungen gibt, dann werden die Kosten für die öffentliche Hand extrem steigen. Wahrscheinlich wird es dann nur einen Bieter geben, den aus der Behördenbahn hervorgegangenen ehemaligen Monopolisten. Dieser wird einen hohen Preis aufrufen. Aber nicht nur, weil man die Chance nutzen und viel Geld verdienen will, wenn sie sich bietet.
Man wird zumindest nach außen hin nachvollziehbar sagen, dass man akzeptieren muss, wenn die Aufgabenträger Kalkulierbarkeit haben wollen und nicht bereit sind, die sich an den Risiken zu beteiligen, die mit einer jahrzehntelangen Vertragslaufzeit einhergehen. Umgekehrt kann man aber auch nicht riskieren, dass man selbst – wie viele Wettbewerbsbahnen – in die roten Zahlen läuft und muss daher stets die Worst-Case-Szenarien einpreisen.
Zumal man ja inzwischen auch weiß, dass selbst DB Regio z.B. bei der hier mitbetroffenen S-Bahn Rhein-Ruhr in die roten Zahlen gelaufen ist. Ja, der rote Riese macht bei Teilen der S-Bahn im Ruhrgebiet Verluste. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen man hier riesige Gewinne eingefahren hat. Das politische Ziel muss jetzt sein, nicht von einem Extrem ins andere zu laufen, sondern mit Vernunft und Rationalität an die Sache heranzugehen.
Man hat ein „Jahrzehnt der Baustellen“ ausgerufen, es ist also davon auszugehen, dass wochenlange Sperrungen, aufwendige Busersatzverkehre und vieles mehr bis auf weiteres zur Realität in der Eisenbahnbranche gehören. Dass muss in neuen Verkehrsverträgen abgebildet werden und laufende Verkehrsverträge müssen entsprechend angepasst werden.
Drohungen, dass bei Vertragsanpassungen sofort Klagen einst unterlegener Bieter drohen würden, sind dabei in aller Regel Schutzbehauptungen. Hier haben sich die Rahmenbedingungen erheblich verändert und dieser Prozess dauert weiter an. Deshalb gilt es jetzt das Jahrzehnt der Baustellen anzugehen und zwar auf allen Ebenen.
Siehe auch: NRW: Investitionspaket Robustes Netz 2 ist gestartet
Foto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger