Langfristige Lösungen für gute Dienstleister sichern
30.09.21 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
Einen ganz entscheidenden Punkt spricht LNVG-Chefin Carmen Schwabl als erste beteiligte Person überhaupt an: Es geht, zumindest auch, um die betroffenen Mitarbeiter und ihre Familien. 301 Menschen arbeiten direkt bei der Westfalenbahn, bundesweit hat Abellio etwa 3.100 Angestellte. Alles Leute, die ihre Familien ernähren, die ihre laufenden Kosten bezahlen, deren Kinder zur Schule, in den Kindergarten und den Sportverein gehen, kurzum: Die Existenz vieler fleißiger, anständiger Menschen steht auf dem Spiel.
Wenn man sich überlegt, dass der Staat seit Jahrzehnten ständig Unternehmen mit genau diesem Argument rettet und dass die DB AG bei jeder verlorenen Ausschreibung auch genau diese Karte auszuspielen versucht, dann muss man genau darüber auch im Zusammenhang mit Abellio und anderen Wettbewerbsbahnen sprechen. Stichwort andere Wettbewerbsbahnen: Tatsächlich sind in Deutschland so gut wie alle Verkehrsverträge in den letzten Jahren aus den schwarzen in die roten Zahlen gelaufen. Das hat zahlreiche Ursachen, u.a. liegt es an den stark gestiegenen Lohnkosten.
Am 1. Juli, unmittelbar nachdem man bei Abellio die Notbremse gezogen und den Schutzschirm aufgespannt hat, kam der Bundesverband Schienennah mit einem neuen Lohnkostenindex. Hätte die Dachorganisation der Aufgabenträger das nicht ein halbes Jahr oder ein Jahr vorher publizieren können? Dann hätten sich nämlich die Aufgabenträger viel eher danach gerichtet und anerkannt, dass es branchenweit zu Lohnkostensteigerungen gekommen ist, die es bei den allgemeinen Dynamisierungen zu berücksichtigen gilt.
Natürlich kann man jetzt sagen, dass die Tarifverträge das Privatvergnügen der Auftragnehmer seien, mit denen die Auftraggeber nichts zu tun haben. Dabei ist es trivial, dass kein Aufgabenträger ernsthaft ein Interesse daran haben kann, dass es zu womöglich wochenlangen oder gar monatelangen Streikaufrufen auf der Schiene kommt. Was schon ein fünftägiger Streik für Auswirkungen haben kann, haben wir erst jüngst im DB-Konzern beobachten können. Nein, diese Tarifsteigerungen waren notwendig, auch um überhaupt Personal zu bekommen.
Dabei steigt die Personalintensität natürlich mit höheren Bauaktivitäten weiter an. Die Zahl der Baustellen steigt und diese gehen einzig und allein auf Kosten der Betreiber. Auch das ist etwas, das man im Rahmen des vielzitierten Konzeptes Verkehrsvertrag 2.0 lösen muss. Es geht nicht an, dass Probleme, die nicht in der Verantwortung des Betreibers liegen, ausschließlich zu dessen Risiko gehen.
Zumal man durchaus Stimmen hört, die sagen, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen durchaus die Möglichkeit hätte, bei stark gestiegenen Bauaktivitäten so einen Vertrag selbst zu kündigen, weil nach §313 BGB die Geschäftsgrundlage gestört sei. Dabei gibt es sicher im Portfolio zahlreicher Betreiber Verträge, die man in die schwarzen Zahlen bringen kann. Da wo das nicht möglich ist, müssen alsbald Neuvergaben her. Dass es dafür noch Bieter gibt, ist jetzt mit umfassenden Vertragsanpassungen sicherzustellen.
Siehe auch: Zwischenlösungen für Abellio
Foto: Abellio GmbH