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Von Wien lernen

17.06.21 (Kommentar, Österreich, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Schon lange zeigt ein Blick auf den Modal Split in der Stadt Wien, dass man dort irgendwas richtig und auch besser zu machen scheint als in Deutschland. Hier muss man nämlich nicht über gestiegene absolute Fahrgastzahlen sprechen, um darüber hinwegzutäuschen, dass Busse und Bahnen allerhöchstens das gestiegene Gesamtverkehrsaufkommen abbilden und es gerade keinen Umstieg gibt.

Das ist in Wien anders: Dort leben viele Menschen ohne Auto und wer eins hat, der lässt es tatsächlich oft stehen, weil die Wiener Linien in Kombination mit dem urbanen Eisenbahnverkehr ein Leistungsangebot auf die Beine gestellt haben, das attraktiv genug ist, um die Leute auf die Schiene zu locken. Dabei hat Wien weder horrende Parkgebühren noch andere autofeindliche Maßnahmen, die aus dem Umfeld der Eisenbahn- und ÖPNV-Branche immer wieder zu hören sind.

Noch mehr Parkgebühren, damit die Leute den Bus nutzen ist ein Ansatz, der nie funktioniert hat. Davon profitieren die Einkaufszentren auf der grünen Wiese aber auch der Versandhandel aus dem Internet – gerade nicht die Innenstädte. Wenn man aber verlässlich im dichten Takt und sauberen Bussen und Bahnen fahren kann, dann kommen die Leute von selbst. Man sieht das auch bei einigen Positivbeispielen in Deutschland, die euregiobahn war ja erst letzten Montag hier Thema.

Ähnlich erfolgreich ist etwa das Karlsruher Modell oder die Düsseldorfer Regiobahn. Natürlich ist jeder Ort individiell zu betrachten und Wien ist als Großstadt anders zu sehen als der ländliche Raum. Aber man kann durchaus in Städten wie Köln, Berlin, Hamburg, München oder Frankfurt am Main den Anspruch haben, ähnlich erfolgreich zu sein wie es in Wien der Fall ist. So haben die Wiener Linien schon seit vielen Jahren ein 365-Euro-Ticket.

In Deutschland wird das allenfalls für Studenten oder Auszubildende angeboten, man plant Modell- und Pilotprojekte, die vielleicht irgendwann man starten könnten, wenn genug Zuschüsse der öffentlichen Hand fließen. In Wien ist das schon lange Alltag, ebenso wie der Nachtverkehr. Dort kann man eben auch sonntags morgens zur Frühschicht fahren oder abends spät aus der Kneipe nach Hause.

In Deutschland gibt es Städte, da beginnt der Nachtfahrplan um 19 Uhr und um 23 Uhr ist Betriebsschluss. Wenn an Sonn- und Feiertagen dann erst vormittags gefahren wird, dann braucht derjenige, der zur Schichtarbeit gehen muss, in jedem Fall ein Auto und wird das immer nutzen. Mobilitätsverfügbarkeit auch jenseits der Stoßzeiten ist also scheinbar ein wichtiger Punkt für eine ernsthafte Verkehrsverlagerung.

Vielleicht sollte der VDV einfach mal eine Delegation nach Wien senden und sich eine Woche ansehen, was man dort macht. Wenn dieser Verband dafür zu unbeweglich ist, dann sollten Verkehrspolitiker aus deutschen Millionenstädten einmal hinfahren und etwas mitnehmen, etwas mitbringen nach Deutschland. Denn es reicht nicht, von einer Verkehrswende zu sprechen, es muss praktische Verbesserungen geben, damit die Leute umsteigen.

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