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Menschen abholen und erreichen

20.05.21 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Die zentrale Erkenntnis kommt neben allerlei Bekundungen, wie toll doch die Eisenbahn ist, von der Allianz pro Schiene: Man braucht eine stärkere politische Steuerung. Genau, es wird keinen Deutschlandtakt geben auf der Basis der Annahme, dass schon überall gefahren wird, sondern auch im SPFV muss der Verkehr durch eine öffentliche Stelle, dem Aufgabenträger, definiert und anschließend vergeben werden.

Nun ist der Fernverkehr so lukrativ, dass er nicht zwingend öffentlicher Zuschüsse bedarf, aber man muss vermeiden, dass hier jemand Rosinenpickerei betreibt: Ich fahre alle halbe Stunde aus dem Ruhrgebiet nach Berlin, aber die Fahrten von Münster an die Nordsee oder von Hagen nach Siegen, die lasse ich mir vom Nahverkehrs-Aufgabenträger bezahlen und das idealerweise noch ohne vorherige Ausschreibung.

So läuft das nicht und diverse, teilweise erfolgreiche Versuche der DB AG, zur Finanzierung vermeintlich eigenwirtschaftlicher SPFV-Leistungen Regionalisierungsgelder abzuschöpfen belegen das. Eisenbahnleistungen sind in aller Regel nicht mit den Fahrgeldeinnahmen auskömmlich finanzierbar und wir haben seit mehr als zehn Jahren mit dem Abellio-Urteil auch eine Klärung durch den Bundesgerichtshof, dass bei Geldflüssen von der öffentlichen Hand an private Verkehrsunternehmen das allgemeine Vergaberecht anzuwenden ist.

Wir brauchen einen hoheitlich organisierten und staatlich bestellten SPFV, wenn wir einen Deutschlandtakt flächendeckend haben wollen. Und der ist die Grundvoraussetzung, um einen Europatakt, einen neuen TEE oder sonst was für Fernziele auf die Beine zu stellen. Erst müssen die grundständigen Aufgaben gelöst werden. Dazu gehört auch, dass der Verkehrsträger Schiene seine individuellen Stärken ausspielt und die liegen nun einmal bei Reiseweiten zwischen fünf und 200 Kilometern, allenfalls bis 400 Kilometer.

Ein Nachtzug von Amsterdam nach Zürich mag im Einzelfall den Frühflug ersetzen, aber mehr eben auch nicht. Wenn wir über Reiseweiten von mehreren tausend Kilometern sprechen, dann hat es wenig Zweck, die alten Bodenhansa-Phantasien wieder zu reanimieren, sondern dann ist das einfach keine spezifische Stärke der Schiene. Wir brauchen einen vernünftigen Taktfahrplan, der auch Mittelstädte verlässlich anbietet und der auch sicherstellt, dass die kommunale Busanbindung auch die letzte Meile attraktiv gestaltet.

Ein Taktverkehr nutzt nichts, wenn man abends nach 20 Uhr am Hauptbahnhof 56 Minuten auf seine zwanzigminütige Busfahrt warten muss, dann nutzen die Leute ihr Auto. Es braucht in den Metropolregionen genauso gute Anbindungen wie in der Fläche, man muss die Menschen abholen wo sie sind: Anstatt in Dortmund hochzubeschleunigen und ohne Halt oder mit nur einem Halt nach Berlin durzurauschen ist eben gerade nichts, was der Eisenbahn etwas nutzt. Niemand fährt von Bielefeld oder Gütersloh erst zurück nach Dortmund, um den ICE zu kriegen. Dann kann man gleich zum Düsseldorfer Flughafen fahren oder das Auto nehmen. Deshalb: Die Eisenbahn muss die Menschen zuhause erreichen.

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