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Trotz zweiter Welle: Die Realität wird kommen

26.10.20 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Seitdem im 19. Jahrhundert die Eisenbahn und alsbald auch die elektrischen Bahnen in den Städten eingeführt worden sind, gab es weltpolitische Verwerfungen, die deutlich heftiger waren als alles, was wir jetzt sehen: Es gab zwei Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise, den kalten Krieg und die deutsche Teilung. Kurz nach dem ersten Weltkrieg gab es die spanische Grippe mit deutlich heftigeren Auswirkungen als alles, was wir heute sehen.

Auch damals waren Alltagsmasken in öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht. Masken, die viele von uns noch vor einigen Monaten nur aus Operationssälen oder vielleicht vom Zahnarzt kannten, waren genauso Alltag wie sie es jetzt leider wieder sein mögen. Wenn man aber das ereignisreiche 20. Jahrhundert betrachtet, dann stellt man fest, dass trotz allem, was passiert ist, die öffentlichen Verkehrsmittel stets weitergelaufen sind.

Die Fahrgastzahlen mögen zwischenzeitlich gesunken sein, aber das Mobilitätsbedürfnis war stets vorhanden. Die Berliner S-Bahn ist bis Ende April 1945 gefahren, erst als die Alliierten in der gesamten Stadt den Strom abgedreht haben, ruhte der Verkehr – aber bereits im Juni 1945 fuhren wieder Züge, Ende 1946 lief das Netz wieder nahezu vollständig. Auch die deutsche Teilung und Mauer quer durch Berlin hinderte die Eisenbahn nicht, im Rahmen dessen, was in dieser traurigen Epoche möglich war, zu fahren.

Und auch die Coronakrise wird nicht dazu führen, dass sich unsere Gesellschaft im größeren Stil ändert: Nach der Krise nimmt die Konjunktur wieder Fahrt auf, aber bis man das Fahrgastniveau des Jahres 2019 erreicht hat, gilt es jetzt eine Durststrecke zu überbrücken. Es sieht nicht so aus, als könnte man die Zahlen des Jahres 2019 bereits 2021 wieder erreichen, aber ob das 2022 oder 2025 der Fall sein wird, ist gar nicht so wichtig: Der Trend geht weiter nach oben, das Verkehrsaufkommen steigt und damit die Nachfrage.

Neben einer Kampagne, dass man mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr wohl fahren kann ohne einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt zu sein, muss man auch wissen, dass die Thematik aus der Zeit vor der Krise bald wieder da sein wird: Man braucht mehr Platz und höhere Kapazitäten für immer mehr Menschen, die mit Bussen und Bahne fahren wollen.

Und dabei reden wir noch nicht einmal von einer echten Verkehrswende, sondern nur darüber, dass die öffentlichen Verkehrsmittel den Anstieg des Gesamtverkehrsaufkommens mit abbilden. Auch in Zukunft werden die Arbeitswege immer länger und die Mittelstädte rund um die Metropolen werden mehr und mehr zu Schlafstädten – nicht zu verwechseln mit den weitgehend autarken Trabantenstädten.

Das mögen Begriffe und Konzepte aus den 1960er oder 1970er Jahren sein, aber in modernisierter Form werden wir uns mit diesen in der Zukunft wieder beschäftigen müssen. Krise und Chance sind zwei Seiten einer Medaille. Jetzt sollte man die Atempause nutzen, sich Gedanken zu machen, was denn in drei oder fünf Jahren sein soll – wenn das Vorkrisenniveau erreicht und bald übertroffen sein wird.

Siehe auch: #BesserWeiter: Branche startet Wiedereinsteigeprogramm

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