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Interview mit VRR-Vorstandssprecher Ronald Lünser

19.10.20 (Verkehrspolitik, VRR) Autor:Stefan Hennigfeld

Ronald Lünser (55) ist Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr in Gelsenkirchen. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über Insolvenzrisiken, ruinösen Wettbewerb auf der Schiene und die rechtlichen Grundlagen für mögliche Nachbesserungen in laufenden SPNV-Verkehrsverträgen.

Herr Lünser, wie bewerten Sie die in den letzten Wochen verstärkt medial diskutierten Insolvenzrisiken bei Eisenbahnverkehrsunternehmen?

Die Städtebahn Sachsen hat uns im letzten Jahr unrühmlich vor Augen geführt, dass Insolvenzen auch bei den EVU sehr wohl möglich sind. Insofern ist es unsere Aufgabe, genau dies für den nordrhein-westfälischen SPNV-Markt zu verhindern, indem wir dafür sorgen, dass Verkehrsverträge auch in Zukunft wirtschaftlich auskömmlich sind und Wettbewerb möglich ist, beispielsweise durch Anpassung der laufenden Verkehrsverträge im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten.

Was heißt das konkret?

Wir sind natürlich an das Vergaberecht, das Wettbewerbsrecht und das Haushaltsrecht gebunden und zunächst einmal gilt grundsätzlich, der Verkehrsvertrag ist einzuhalten. Eine Anpassung laufender Verträge ist zwar nach § 313 BGB möglich, aber nur dann, wenn sich die Geschäftsgrundlage seit der Vertragsunterzeichnung erheblich verändert hat. Und das gilt es nun in den kommenden Wochen detailliert zu prüfen.

Wie sehen diese Prüfungen aus?

Wir erwarten noch im Oktober von vier in unserem Verbundraum tätigen Eisenbahnverkehrsunternehmen ausführliche und rechtlich begründete Anspruchsschreiben. Deren Argumente werden wir detailliert analysieren, juristisch einordnen und dann werden wir Gespräche führen.

Was ist das konkrete Ziel?

Die drei nordrhein-westfälischen Aufgabenträger sind in der Sache präventiv tätig und wollen den SPNV-Markt stabilisieren. Denn ein sich verabschiedendes Eisenbahnverkehrsunternehmen lässt sich nicht so ohne weiteres ersetzen. Schließlich gab es bundesweit in den letzten zehn Jahren nur zwei Markteintritte und wir möchten die hohe Zahl der bei uns tätigen Unternehmen durch attraktive Vergabeverfahren auch in der Zukunft erhalten, ansonsten gäbe es keinen Wettbewerb mehr.

Hierbei geht es insbesondere um die Frage, ob zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die sich verändernden Marktbedingungen für die EVU vorhersehbar und damit kalkulierbar waren, oder eben nicht. Weiterhin stellt sich die Frage, ob die aus den Tarifabschlüssen resultierenden und gestiegenen Personalkosten vorhersehbar waren und warum die EVU die Tarifverträge mit den Gewerkschaften abgeschlossen haben.

Ähnlich sieht es bei den stark gestiegenen Bauaktivitäten und den Baustellenfolgekosten aus. War die Entwicklung in dieser Dimension vorhersehbar oder nicht. Auch hierzu werden wir uns die Argumente und die Kalkulationen sehr detailliert ansehen und juristisch bewerten ob und wenn ja an welcher Stelle eine Nachbesserung in laufenden Verkehrsverträgen erforderlich ist.

Befürchten Sie ruinösen Wettbewerb auf der Schiene?

Eine Entwicklung in genau diese Richtung wollen wir verhindern, insbesondere weil wir wissen, dass nur eine hohe Bieterzahl im Markt langfristig die Wirtschaftlichkeit und damit auch das Leistungsvolumen des SPNV sichert. Hierfür müssen wir den SPNV-Markt stabilisieren.

Wie sieht es bei zur Neuvergabe anstehenden Verkehrsverträgen aus?

Auch künftig werden wir, wie schon in der Vergangenheit, unsere Erfahrungen aus dem laufenden Betrieb und aus den Herausforderungen die sich im Laufe der Verkehrsverträge ergeben, in die Vergabe neuer Ausschreibungen einfließen lassen. Wir wollen zuverlässiger Partner für unsere Auftragnehmer sein.

Herr Lünser, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Hennigfeld.

Siehe auch: Den Markt vor ruinösem Wettbewerb schützen
Siehe auch: Debatte um Auskömmlichkeit von Verkehrsverträgen

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