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Bleiben wir realistisch

17.02.20 (Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

In Wien ist man stolz drauf, was man alles geschafft hat und das wichtigste ist der Wert, von dem in Deutschland keiner was wissen will: Der Modal Split. Wie groß ist der Anteil öffentlicher Verkehrsmittel am Gesamtverkehrsaufkommen? Natürlich ist dieser im urbanen Raum stets größer als auf dem Land, aber dennoch muss man die Leistung in Wien erstmal hinkriegen. In Deutschland rühmt man sich üblicherweise mit den absoluten Fahrgastzahlen.

Vor einigen Jahren sagte jemand vom VDV zu mir, man sei „nicht das Statistische Bundesamt“. Das ist natürlich nur eine Schutzbehauptung, um die manipulative Argumentation zu rechtfertigen. Und tatsächlich hat man es bei Verkehrspolitikern nicht selten mit fachfremden Personen zu tun, die ihren Job über Regional- oder Parteiproporz erhalten haben, die nicht einmal wissen, was der Modal Split ist und die sich leicht einen vom Pferd erzählen lassen.

Nach der nächsten Wahl ist oft der Nächste da, der sich neu einarbeiten müsste. So kann man natürlich vermeintliche Erfolge besser verkaufen. Und während man in Deutschland immer neue Phantasien hat um Autofahrer zu drangsalieren, hat man in Wien durch ein gutes Angebot die Nachfrage geschaffen. Wobei, auch hier muss man sich manches mal wundern: Was sagt uns die Zahl der zugelassenen Kraftfahrzeuge über dessen Nutzung? Gar nichts.

Vor ein paar Jahren hat der damalige Bahnchef Rüdiger Grube einen sehr merkwürdigen Vergleich angestellt: Die Zahl der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr wäre stärker gestiegen als die der Kfz-Neuzulassungen. Hä? Genau, man kann sich alle möglichen Zahlen raussuchen und (nicht vorhandene) Erfolge hineininterpretieren. Man kann sich aber auch solche Regionen ansehen, wo man wirklich Erfolg hat.

Wien ist eine solche, auch im Vergleich zu deutschen Millionenstädten. Dazu gehört auch das 365-Euro-Ticket, das der VDV ablehnt. Aber nicht zu unrecht: Die deutsche ÖPNV-Branche hat einfach nicht die Kapazitäten, um mit dem dann zu erwartenden Fahrgastzuwachs umgehen zu können. Daraus sollte man wiederum seine logischen Schlüsse ziehen: Die Verkehrswende mag ein allseits beliebtes Schlagwort sein, mit Inhalt füllen kann man dieser aber nicht.

Es mag sein, dass es in einzelnen deutschen Millionenstädte wie Hamburg, Köln, München oder Berlin einiges an Verlagerung gibt, aber bundesweit im Durchschnitt ist klar: Das Auto bleibt der Mittelpunkt der Verkehrspolitik, weil es als einziger Verkehrsträger in der Lage ist, das Verkehrsaufkommen abzuwickeln. Die Schiene kann das nicht.

Natürlich wird sich auch hier wieder irgendeine manipulative Argumentation finden, die dieser These widerspricht. Doch seien wir ehrlich zu uns selbst: Es fehlt an Kapazitäten, es fehlt an Fahrpersonal und das schlagende Argument gegen das 365-Euro-Ticket ist, dass niemand mit dem zu erwartenden Erfolg klarkäme. Realisieren wir das also. Nehmen wir es zur Kenntnis und handeln wir entsprechend. Lassen wir den Zug nach Wolkenkuckucksheim abfahren und bleiben wir realistisch.

Siehe auch: Wiener Linien mit Rekordjahr 2019

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