Ältere Autofahrer ansprechen
11.11.19 (Hessen, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld
In Wien ist das Ein-Euro-Ticket sehr erfolgreich, aber wenn es nicht flankiert wird von weiteren Maßnahmen des Engagements und der Finanzierung, so kann man die entsprechenden Nutzen nicht in der Form ziehen, wie es möglich wäre. Dass man sich in einer zentralen deutschen Metropolregion wie Rhein-Main nun doch dazu entscheidet, zumindest für Senioren ein entsprechendes Angebot auf den Markt zu bringen, ist vorbildlich und sehr erfreulich.
Es gab mal eine Zeit, das hat man von den drei A gesprochen, die Armen, Alten und Auszubildenden, die ohnehin auf Busse und Bahnen angewiesen seien. Heute nennt man diese Gruppe ganz modern „captive rider“, meint aber nichts anderes damit. Frei nach dem Motto: Die sind ohnehin auf uns angewiesen und das reicht erstmal für unsere Ansprüche.
Heute sehen wir zweierlei Dinge: Einerseits haben wir im Zeitalter von Freitagsdemonstrationen einen Blick auf die Verkehrspolitik, die so intensiv noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre. Die Menschen beschäftigen sich mit Themen wie Modal Split und lassen sich durch leicht gestiegene absolute Fahrgastzahlen keinen Sand in die Augen streuen.
Andererseits sind gerade immer mehr ältere Menschen auch mit dem eigenen Auto unterwegs. Die Zeiten, dass eine siebzigjährige Witwe stets auf den Bus angewiesen war, ist in der Generation der Babyboomer vorbei. Die künftigen Rentner waren oft zeitlebens Autofahrer und müssen mit guten Angeboten überzeugt werden. Drauf angewiesen sind sie nicht.
Und erfolgreiche Seniorentickets sind nicht einmal neu. Schon vor weit über zehn Jahren fing man im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr damit an, das Bärenticket auf den Markt zu bringen, das sich speziell an Menschen über sechzig richtet. Dort kann man ganztags auch in der ersten Klasse fahren – wie in der etwas teureren Variante des jetzt eingeführten hessischen Seniorentickets.
Denn wenn man schon ein so extrem billiges Ticket auf den Markt wirft, dann sind Einschränkungen wie die Nutzung erst ab neun Uhr – also nach der Frühspitze – wohl nicht zu vermeiden. Aber gerade Rentner sind es, die oft eben auch nicht morgens zur Arbeit müssen, sondern durchaus auch etwas warten können. Entsprechend billiger ist ihre Zeitkarte dann ja auch und das Standardticket steht jedermann weiterhin offen.
Aber eine so innovative Aktion, wie sie jetzt in Hessen passiert, wäre bundesweit noch vor einigen Jahren unvorstellbar gewesen. Zu groß ist bis heute gerade in Deutschland die Zahl der Bedenkenträger und derer, die sofort Gründe finden, warum irgendwas nicht geht.
Das geflügelte Wort vom Eisenbahner, der für jede Lösung gleich zwei neue Probleme aus dem Hut zaubert, mag altbacken sein, aber es ist – wenn wir ehrlich sind – auch heute noch etwas dran. Umso wichtiger und schöner ist, dass wir jetzt wieder eine Epoche des Aufbruchs erleben. Es ist Kreativität gefragt, man braucht Menschen, die sich Gedanken machen und deren Ideen umgesetzt werden. Lieber scheitern als es gar nicht erst zu versuchen – das sollte man sich zu Herzen nehmen.
Siehe auch: Hessen: Verkauf von Seniorenticket startet