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Es geht durchaus

25.07.19 (Hamburg, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Ja, man kann (gerade im urbanen Raum) auf das eigene Auto verzichten. Und wenn man ernsthaft einen Massenumstieg auf öffentliche Verkehrsmittel realisieren möchte, dann muss man den Menschen genau zuhören, die ein Vierteljahr auf das eigene Auto verzichtet haben. Welche Erfahrungen gibt es, wo sind Verbesserungspotentiale und welche Umstände sorgen dafür, dass es am Ende des Tages eben doch nicht mehr zumutbar ist, ohne eigenes Auto an der Waterkant zu leben.

Vielleicht sollte man einen solchen Test einmal mit den Entscheidungsträgern in der Branche machen: Die Leute, die tatsächlich den Einfluss haben, die Fahrpläne zu ändern, die dafür sorgen können, dass der Stadtbusverkehr an den SPNV angepasst wird und die die Kompetenzen haben, die Geschäftsgebiete von Carsharing-Anbietern auf die Außenbezirke zu erweitern.

Ich persönlich bin schon seit längerem der festen Überzeugung, dass es dem öffentlichen Verkehr einen kaum zu beziffernden Nutzen bringen könnte, wenn alle Branchenlenker sechs bis acht Wochen lang auf Dienstwagen und Fahrer verzichten müssten und auf das angewiesen wären, was sie selbst als gute Dienstleistung bezeichnen. Auf einmal würden Dinge gehen, bei denen heute schon die Nachfrage, ob man das machen kann, als unsachlich und polemisch zurückgewiesen wird.

Das ist tatsächlich eines der Hauptprobleme: Diejenigen, die mit Dienstwagen und Fahrer durch die Metropolen fahren, die wissen nichts von der Lebensrealität geplatzter Anschlüsse, vom Zu-Spät-Kommen wegen Lokführermangels und vielem mehr. Die wissen auch nicht, wie sich die Reisedauer auf der letzten Meile überproportional verlängern kann, weil der Bus vom Bahnhof nach Hause nach einem Plan fährt, der nicht auf den SPNV ausgelegt ist.

Das gilt noch stärker eine Stufe höher, bei politischen Mandatsträgern. Was passiert denn, wenn Bundesverkehrsminister Herr Scheuer einen Wahlkampfauftritt in Bayern macht? Die Polizei sperrt weiträumig die Straße, wenn sein Dienstwagen kommt. Was soll so jemand über schlechte Anschlüsse in Füssen oder Kaufbeuren wissen?

Das mag jetzt hart klingen, aber genau das ist das Problem: Die ÖPNV-Branche hat sicher viele Probleme, aber das größte ist das Mentalitätsproblem der Leute, die zu entscheiden haben. Wenn kommunale Planungsämter nach eigener Lust und Laune die Busfahrpläne machen ohne Rücksicht auf den SPNV zu nehmen, dann kann man ein solches Problem nicht mit „mehr Geld“ lösen (dem Grundnarrativ der Eisenbahnbranche), sondern nur mit einer anderen Einstellung.

Dass aber nach einem nicht repräsentativen Feldtest an der Waterkant vier von sieben Teilnehmern bereit sind, sich dauerhaft so umzustellen, zeigt das Potential, das der konventionelle ÖPNV gemeinsam mit den multimodalen Angeboten im Verbund mit den Chancen der Digitalisierung bietet. Es geht also und zwar auch ohne große Entbehrungen. Diese Chancen muss man nutzen – und zwar nicht mit Fahrverboten oder einer abstrusen CO2-Steuer, sondern mit echten Verbesserungen – dann tut sich was.

Siehe auch: Hohe Umsteigebereitschaft in Hamburg

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