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Potentiale nutzen

19.06.19 (Baden-Württemberg, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Die Erkenntnis ist eigentlich trivial und trotzdem in großen Teil der Eisenbahnbranche bis dato scheinbar nicht angekommen: Man braucht vor allen Dingen einen gut vertakteten Verkehr und den kann man nur von oben nach unten planen. Jedes kommunale Planungsamt muss sich dem SPNV am Hauptbahnhof unterordnen und den Busverkehr entsprechend planen. So wie ja auch der Aufgabenträger seinen Regionalverkehr so organisieren muss, dass die Regionalbahn nicht fünf Minuten nach der Abfahrt des ICE am Hauptbahnhof ankommt, sondern eine Zubringerfunktion übernimmt.

Und genau das sind real existierende Probleme für Berufspendler, die man nicht mit den üblichen Narrativen „mehr Geld“ lösen kann, sondern wo intelligente Konzepte und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Stellen gefragt sind. Möchten Sie ein Beispiel hören? Abends nach 20 Uhr erreicht der Wupperexpress (RE 4) hier in Witten den Hauptbahnhof zur Minute 39. Die Buslinie 376, mit der ich, wenn ich abends aus der Landeshauptstadt komme, nach Hause fahren müsste, fährt aber bereits zur Minute 35. Ganze 56 Minuten muss man zur Tagesrandlage auf den Bus warten oder ein Taxi nehmen. Oder ich fahre gleich mit dem Auto nach Wuppertal, Düsseldorf oder Aachen, einfach weil es sich vor solchen Hintergründen nicht lohnt, Busse und Bahnen zu nehmen.

Die Tür-zu-Tür-Rechnung ist nun einmal die alles entscheidende Frage, wenn es um die Wahl der Verkehrsträger geht. Und da der Ennepe-Ruhr-Kreis oder die Stadt Witten (oder wer auch immer sich für zuständig hält – oder auch nicht) ihren Fahrplan offensichtlich gestalten ohne Rücksicht auf die Züge am Hauptbahnhof zu nehmen, ist der ÖPNV auch dann keine Alternative, wenn die Qualität in Bussen und Bahnen in den letzten Jahren zugenommen hat.

Es reicht manchmal ein relativ profanes Beispiel um zu zeigen, wieso Busse und Bahnen auf dem Gesamtverkehrsmarkt nur ein Randprodukt sind – zumindest bundesweit im Durchschnitt. Und das ist ja so, aus gutem Grund spricht die Eisenbahnbranche so ungern über den Modal Split: Weil man dann einräumen müsste, dass steigende Fahrgastzahlen allenfalls ein wachsendes Gesamtverkehrsaufkommen abbilden und gerade nicht dafür sorgen, dass mehr Menschen vom Auto auf die Bahn umsteigen. Und damit sich das ändert, muss man aus Projekten wie in Baden-Württemberg lernen und dafür sorgen, dass der Umstieg attraktiv wird.

Das Problem an der Sache ist, wenn man mit Vertretern der Eisenbahnbranche spricht, sind die Forderungen nach höheren finanzielle Belastungen für Autofahrer allgegenwärtig. Aber die Frage, wie man denn die Schiene oder den Umweltverbund insgesamt attraktiver machen kann, wird nicht oder nur sehr selten gestellt. Dabei sind die herausragenden Positivbeispiele stets die, wo man ideologiefrei und lösungsorientiert zusammengearbeitet hat. Die Schiene hat ohne Frage deutlich mehr Potential, es wird nur nicht ausreichend genutzt. Das zu ändern muss Teil einer vernünftigen Verkehrspolitik sein.

Siehe auch: DB Regio und ioko schließen Testreihe ab

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