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Interview mit VRR-Vorstandssprecher Ronald Lünser – Teil 3

09.05.19 (Allgemein) Autor:Stefan Hennigfeld

Ronald Lünser (54) ist seit diesem Jahr Vorstandssprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) und steht einem der größten SPNV-Aufgabenträger vor. Zuvor war er 12 Jahre Geschäftsführer und Eisenbahnbetriebsleiter bei Abellio Rail NRW. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über seinen Rollenwechsel in der Branche, die Qualität des SPNV und die Frage, wie man den von ihm geprägten Begriff Kultur der Anerkennung mit Leben füllen kann. Bereits gestern erschien der zweite Teil.

Sie haben nicht nur mit den Verkehrs-, sondern auch mit den Infrastrstrukturunternehmen zu tun. Hier haben Sie aber keine direkten Vertragsverhältnisse. Wie bewerten Sie die Qualität der Eisenbahninfrastruktur?

Lassen Sie mich dazu zwei Zahlen nennen: Wir haben seit 1996 die Betriebsleistung in Zugkilometer um 35 Prozent erhöht, diese Erhöhung steigert sich mit den nächsten Betriebsaufnahmen auf 38 Prozentpunkte. Die Beförderungsleistung in Personenkilometern ist um 85 Prozent gestiegen. Es fahren also deutlich mehr Züge als zum Beginn der Eisenbahnreform bzw. der Regionalisierung. Die Infrastruktur und ihre Kapazitäten haben sich aber nicht verbessert.

Wenn ich mir die Sache bei Licht betrachtet angucke, sehe ich gerade zwischen Dortmund, Duisburg, der Landeshauptstadt Düsseldorf und Köln bis Bonn erhebliche Engpässe.

DB Netz selbst spricht hier von einer Auslastung von 140 Prozent, wobei neunzig Prozent im Grunde die Grenze des machbaren darstellen. Insofern freue ich mich, dass das Land und der Bund enorme Geldmittel zur Investition bereitstellen. Wir sprechen von Neubauten, Ausbauten und Ertüchtigungen. Hierzu gehört aber auch, dass man vorhandene Investitionsstaus abarbeitet. Die Nachwirkungen der Mehdorn´schen Infrastrukturpolitik spielen auch heute noch eine große Rolle. Auf der anderen Seite werden wir diese Kapazitätsengpässe nicht kurzfristig beseitigen. Ich rechne damit, dass wir frühestens in der zweiten Hälfte der 2030er Jahre die benötigte Infrastrukturqualität haben.

Sie sagten, dass Sie bei Eisenbahnverkehrsunternehmen im Falle fortgesetzter Schlechtleistungen Eingriffsmöglichkeiten haben. Das ist bei den Infrastrukturunternehmen nicht der Fall. Wie können Sie sich wehren, wenn Bahnübergänge immer wieder kaputtgehen, wenn Langsamfahrstellen in den Fahrplan eingearbeitet werden und vieles mehr?

Grundsätzlich bin ich der festen Überzeugung, dass Nordrhein-Westfalen einen eigenen Netzbeirat braucht. Wir sind mit 17,5 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Bundesland und haben ein Eisenbahnnetz, das mit dem in der Schweiz, den Niederlanden oder Österreich vergleichbar ist. Wir müssen daher transparent wissen, wie hoch der Anteil der Trassenentgelte ist, die im Rahmen des Finanzierungskreislaufs Schiene tatsächlich auch vor Ort wieder investiert werden und wer setzt die Prioritäten richtig?

Wir sind zudem als Teil der staatlichen Verwaltung im Bereich der Investitionsförderung zuständig, d.h. auch über diese Kanäle bekommt der Infrastrukturbetreiber finanzielle Hilfe von uns. Zumeist werden die Vorhaben aus den Zentralen in Berlin oder Frankfurt am Main gesteuert. Das muss nicht grundsätzlich schlecht sein, entzieht sich aber dem NRW-Einfluss. Das sollte sich ändern.

Müssten Schlechtleistungen im Infrastrukturbereich Ihrer Ansicht nach ähnlich pönalisiert werden wie solche im Verkehrsbereich?

Ja. Insbesondere auch deshalb, weil es zu den Infrastrukturunternehmen keinen Gegenpart gibt. Diesen aufzubauen halte ich für wichtig und das könnte der genannte Netzbeirat sein. Ich meine das auch nicht als Angriff auf die DB AG, sondern es hilft dem Netz insgesamt, wenn sich diejenigen, die auf dem Netz fahren, über die Prioritäten einig werden müssten. Der erste Blick wäre dann nicht mehr der des Konzerns, sondern der des Schienenverkehrs insgesamt in Nordrhein-Westfalen.

Könnte sich der Fall einer mehrjährigen, durch mangelhafte Instandhaltung von DB Netz verursachten Sperrung – wie z.B. die Müngstener Brücke – nach heutigem Sach- und Rechtsstand wiederholen?

Das kann ich nicht ausschließen. Ich habe, anders als bei den Verkehrsunternehmen, nicht die Möglichkeit, die inneren Abläufe von DB Netz begutachten zu lassen. Wir haben aber andere Steuerungsmechanismen. Wir können so etwas heute deutlich einfacher über die Politik klären: Hierfür gibt es einen Verkehrsausschuss im Düsseldorfer Landtag. Dieser könnte mit dem Instrument der parlamentarischen Anfrage Auskünfte erhalten. Es muss aber dazu gar nicht kommen, wenn wir einen Netzbeirat hätten. Dieser könnte genau die Durchgriffsrechte haben, die jetzt fehlen.

Wer würde dort vertreten sein?

Das Landesverkehrsministerium, die Aufgabenträger, Pro Bahn, DB Netz und ein Vertreter der Eisenbahnverkehrsunternehmen.

Ein weiteres großes Thema ist die Frage nach einem bundesweiten Elektrifizierungsprogramm. Wie hoch ist der Anteil Ihrer in elektrischer Traktion betriebenen Zugkilometer?

Wir haben 47,47 Millionen Zugkilometer im laufenden Fahrplanjahr. Davon werden 9,86 Millionen in Dieseltraktion absolviert. Der Rest findet in elektrischer Traktion mit Fahrstrom aus der Oberleitung statt. Wir haben daher einen höheren Anteil elektrischer Traktion als im bundesweiten Durchschnitt.

Gibt es Strecken, die Ihrer Ansicht nach in absehbarer Zeit elektrifiziert werden müssten?

Da fallen mir spontan zwei ein, wo bereits geplant und zum Teil gearbeitet wird. Die Strecke von Wesel nach Bocholt, die Verbindung des Rhein-Ruhr-Express mit dem Westmünsterland. Hier muss eine Oberleitung her und diese ist bereits fester Planungsbestandteil. Ich gehe davon aus, dass dort Ende 2020 in elektrischer Traktion gefahren werden kann. Weitere Strecken sind die Verlängerung der Infrastruktur der Regiobahn.

Wie sieht das in den Städten aus? Wie hoch ist der Anteil alternative Traktionsformen in den Busbeständen der VRR-Unternehmen?

Wir haben rund 2.200 Busse im VRR. Wenn man die Oberleitungsbusse in Solingen nicht mitrechnen, haben wir knapp über 80 Busse mit alternativen Traktionsarten, die von der öffentlichen Hand gefördert worden sind.

Bleiben wir noch einen Moment beim Stadtbus: Welche Möglichkeit hat der VRR, Einfluss zu nehmen, dass die Stadtbusverkehre auf den Eisenbahnverkehr ausgerichtet werden? Was passiert, wenn ein kommunales Planungsamt nicht bereit ist, sein Verkehrsprogramm an die Eisenbahn anzupassen?

Der VRR hat eine gesetzliche Hinwirkungspflicht auf einen integrierten Nahverkehrsplan. Beim SPNV haben wir selbst die Planungshoheit inne, nicht aber beim kommunalen Stadtverkehr. Hier sind die Kreise und kreisfreien Städte Aufgabenträger. Die Hinwirkungspflicht ist ein deutliches Ausrufezeichen, aber ein stumpfes Schwert, wenn es um die Durchsetzung geht. Die Gebietskörperschaften sind verpflichtet, ihre Planungen mit uns zu erörtern.

Ich wünsche mir aber grundsätzlich eine Veränderung der Hinwirkungspflicht, sodass wir auftretende Konflikte auflösen und sicherstellen können, dass Bruchstellen im Rahmen der integrierten Verkehrsplanung nicht entstehen und wir mit dem Blick aufs Ganze Systembrüche identifizieren und ein Schlichtungsverfahren einleiten könnten.

Der VRR ist – wie alle drei Aufgabenträger in Nordrhein-Westfalen – in kommunaler Trägerschaft. Soll das so bleiben oder soll es Ihrer Ansicht nach Kompetenzveränderungen geben?

Ich glaube, dass es richtig ist, keine Landesgesellschaft einzurichten, wie es sie in Niedersachsen oder dem Freistaat Bayern gibt, weil Nordrhein-Westfalen vielerorts in polyzentrischen Ballungsräumen strukturiert ist. So wie die Organisation heute angelegt ist, ist sie richtig. Es mag Luft nach oben geben, sodass man gesetzliche Regelungen schärfen kann, aber das ist auch alles.

Wäre es sinnvoll, wenn es im Falle besonders langlaufender RE-Linien ein Mitspracherecht der Landesregierung gäbe?

Die drei Aufgabenträger sind für die Bestellung, Organisation und Planung des Schienenpersonennahverkehrs zuständig und das ist deren ureigene Kompetenz. Hier ist in den letzten 26 Jahren sehr viel Erfahrungswissen aufgebaut worden und der VRR hat inzwischen 24 von 25 Verkehrsverträgen ausgeschrieben. Hier findet ein Entwicklungsprozess statt, ein Lernen entlang der Prozesskette. Diese Erfahrungswerte sollte man nutzen und weiterentwickeln.

Was ist bei Uneinigkeit zwischen den Aufgabenträgern?

Wir versuchen stets den nordrhein-westfälischen Blick zu haben und auch da sind wir uns mit den Kollegen in Köln und Unna einig. Was wir brauchen ist keine Diskussion über Zuständigkeiten, sondern eine echte Zusammenarbeit auf allen Ebenen.

Herr Lünser, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Hennigfeld.

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