Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Interview mit VRR-Vorstandssprecher Ronald Lünser – Teil 1

07.05.19 (Allgemein) Autor:Stefan Hennigfeld

Ronald Lünser (54) ist seit diesem Jahr Vorstandssprecher des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) und steht einem der größten SPNV-Aufgabenträger vor. Zuvor war er 12 Jahre Geschäftsführer und Eisenbahnbetriebsleiter bei Abellio Rail NRW. Mit dem Eisenbahnjournal Zughalt.de sprach er über seinen Rollenwechsel in der Branche, die Qualität des SPNV und die Frage, wie man den von ihm geprägten Begriff Kultur der Anerkennung mit Leben füllen kann.

Herr Lünser, Sie sind jetzt rund hundert Tage im Amt. Haben Sie sich gut eingelebt?

Ich habe mich sehr gut eingelebt, ich bin gut angekommen und komme jeden Tag ein Stück weiter an. Das liegt an zwei Dingen: Ich bin hier auf eine Verwaltung gestoßen, die hochprofessionell arbeitet und es macht unglaublich viel Spaß, hier dazuzugehören. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass wir die Aufgaben, die vor uns liegen, gut lösen werden. Das andere ist, dass mir die Politik im VRR fraktionsübergreifend den Einstieg leichtgemacht hat. Wir sprechen über viele Themen und haben einen konstruktiven Meinungsaustausch.

Dennoch ist die praktische Realität auf der Schiene problematisch. Wir haben mehrere Verkehrsunternehmen, die durch Schlechtleistungen und Zugausfälle auffallen. Sie kommen ja von der anderen Seite. Welche Konzepte haben Sie, um so etwas künftig zu verhindern?

Mir ist zu Beginn sehr wichtig grundsätzlich darauf hinzuweisen, dass die SPNV-Qualität nicht schlechter gemacht wird, als sie tatsächlich ist. Denn die Qualität über alles im VRR ist nicht ausschließlich schlecht. Dieses Fazit ziehe ich aus den rund 1.600 Kundenbefragungen, die in unserem Auftrag dreimal im Jahr nach einer einheitlichen Methodik durchführt werden. Wenn dort die sieben Verkehrsunternehmen in neun gemessenen Kategorien eine Gesamtnote von 2,2 bekommen, dann darf ich das Fazit ziehen, dass der SPNV von den Kunden nicht so schlecht bewertet wird. Es ist allerdings deutlich Luft nach oben vorhanden.

Wenn ich nun auf den von Ihnen angesprochenen Punkt kommen darf und mir die Monate September bis Dezember 2018 ansehe, dann kann man aus VRR-Sicht mit der Leistung einzelner Auftragnehmer nur sehr unzufrieden sein. Die verkehrsvertraglich geschuldeten Leistungen sind von einigen Vertragspartnern über einen längeren Zeitraum nicht erbracht worden. Bei einigen Verkehrsunternehmen sind es personelle Engpässe, die zu Zugausfällen führen. In anderen Fällen gibt es Lieferengpässe bei Herstellern oder Rückstaus in der Instandhaltung, sodass zwar Triebfahrzeugführer da wären, es jedoch nicht ausreichend einsatzbereite Fahrzeuge gibt. Wir werden weder dauerhaft Busse statt Züge noch Instandhaltungsengpässe akzeptieren.

Diese Dinge haben uns zuletzt sehr beschäftigt. Wir haben gegen drei Unternehmen eine Abmahnung ausgesprochen, gemeinsam mit den benachbarten Aufgabenträgern, soweit diese für die betroffenen Linien mit zuständig waren. In zwei Fällen haben wir den Unternehmen zusätzlich auferlegt, einem von uns bestellten externen Berater Einblicke in die Unternehmensstrukturen und -abläufe zu gewähren. Wir möchten wissen, ob diese Unternehmen angesichts ihrer vorhandenen Arbeitsprozesse auch wirklich in der Lage sind, die von uns eingekaufte und bestellte Qualität dauerhaft zu liefern. Wir hatten daran in einigen Fällen berechtigte Zweifel.

Das bedeutet, dass der VRR laut Verkehrsvertrag den Anspruch hat, sich die Strukturen im Unternehmen anzugucken und zu sagen, was im Zweifel besser gemacht werden muss. Könnten Sie dann – auch mit Ihrer Erfahrung aus der Zeit, als Sie selbst ein Eisenbahnverkehrsunternehmen geführt haben, die Anweisung geben, bestimmte Abläufe zu verändern?

Ja, das können wir. Wir hören den Unternehmen aufmerksam zu und wir vertrauen darauf, dass die Prozesse funktionieren. Und ja, ich weiß natürlich aus meiner langjährigen Erfahrung, wo ich hingucken muss. Wenn berechtigte Zweifel bestehen, dass die Struktur, die Organisation oder die finanzielle Ausstattung eines Unternehmens nicht ausreichend ist, um die Qualität sicherzustellen, dann müssen wir eingreifen.

Finanzielle Ausstattung ist ein gutes Stichwort. Würden Sie ein Angebot eines Verkehrsunternehmens, das deutlich unter Ihrer eigenen Kalkulation liegt, in Zukunft ablehnen, wenn Sie den begründeten Verdacht einer nicht auskömmlichen Finanzierung haben?

Wenn wir in künftigen Ausschreibungen Auffälligkeiten haben, gerade wenn einzelne Angebote von unserer eigenen Kalkulation und der anderer Anbieter deutlich nach unten abweichen, dann gibt es Mechanismen, dies zu prüfen. Selbstverständlich sehen wir uns in so einem Fall die Plausibilitäten an. Stimmen die Annahmen in der Kalkulation? Jedes einzelne Vergabenetz muss wirtschaftlich aus sich heraus auskömmlich finanziert sein. Das gilt umso mehr, wenn das Unternehmen eine europäische Staatseisenbahn als Gesellschafter hat. Hier müssen wir auch beihilferechtlich aufpassen, dass wir nicht angreifbar werden.

Gibt es real die Möglichkeit, einen Verkehrsvertrag bei fortgesetzten Schlechtleistungen vorzeitig zu kündigen? Kann man das überhaupt durchsetzen?

Rein juristisch kann eine außerordentliche oder vorzeitige Kündigung eine Rechtsfolge aus einer oder mehreren Abmahnungen sein. Die praktische Frage ist sicher anders zu bewerten. Ich würde aber an dieser Stelle gar nicht in das ultima ratio springen wollen, sondern ich möchte stattdessen im Rahmen eines mehrstufigen Sanktionsmodells innerhalb von Verkehrsverträgen dafür sorgen, dass Kündigungen erst gar nicht nötig werden.

In künftigen Verkehrsverträgen möchten wir mit den heute schon existierenden Pönalen anfangen. Aber wir möchten ein leistungsgerechtes Pönaleregime. Ein Zugausfall durch einen Suizid wird derzeit genauso sanktioniert wie ein nicht vorhandener Triebfahrzeugführer. Das ist nicht gerecht und das soll geändert werden. Das Ziel ist nicht, mehr Pönale ins System zu bringen, sondern die vorhandenen Mechanismen zu verändern. Ein zweiter Punkt ist die Abmahnung als deutliches Zeichen und Aufforderung an den jeweiligen Auftragnehmer, seine vertraglich geschuldete Leistung zu bringen.

Das dritte wäre das Einschalten eines externen Gutachters durch uns. Das ist eine ziemlich stringente Maßnahme, weil man sich dann als Geschäftsführung einem Dritten gegenüber erklären muss und das ist alles andere als angenehm. Gleichermaßen öffnet so etwas auch einen Mehrheit und eine Chance für das Unternehmen. Der vierte Punkt ist, dass bei dauerhaften Schlechtleistungen nicht zwingend ein ganzes Netz gekündigt werden muss, sondern womöglich nur einige Linien.

Der fünfte Punkt wäre die komplette Kündigung eines nicht funktionierenden Netzes. Punkt Sechs wäre, dass man ein Unternehmen, das mit seinen Bestandsnetzen überfordert ist, von der Vergabe neuer Aufträge ausschließt. So kann man das weiter fortsetzen und die Kündigung spielt natürlich auch immer eine Rolle. Aber das Ziel muss sein, das mehrstufige Kalkulationsmodell messbar zu machen, sodass keine Subjektivitäten entstehen.

Wäre das denn überhaupt machbar? Was passiert, wenn ein Unternehmen in diesem Fall seine Züge stehen ließe und einfach nicht mehr fährt?

Wir müssen das juristisch prüfen: Wann ist eine Kündigung überhaupt verhältnismäßig? Diese wäre natürlich stets ein schwerer Eingriff in die Geschäftsgrundlage des Unternehmens. Und dann stellt sich die Frage nach der handwerklichen Durchführbarkeit. Es wird im Zweifel immer einfacher sein, wenn die Fahrzeuge in der Verfügungsgewalt des Aufgabenträgers stehen. Dort wo die Fahrzeuge im Eigentum des Unternehmens oder eines Leasinggebers stehen, wird es natürlich deutlich schwieriger. Im Falle einer Kündigung müssten dann im Zweifel kurzfristig neue oder andere Fahrzeuge vorhanden sein.

Um das zu prüfen haben wir eine interne Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit genau solchen Fragen beschäftigt. Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere Vertragspartner allerdings auch eine verlässliche wirtschaftliche Perspektive brauchen. Wir benötigen daher neben einem neuen Sanktionsmodell auch ein neues Anreizmodell. Am Ende des Tages müssen Risiken und Chancen einen fairen Ausgleich finden. Dann ist es auch leichter, noch lang laufende bestehende Verträge aufzumachen und entsprechend zu verändern.

Welche wären das?

Spontan fielen mir die S-Bahn Rhein-Ruhr oder auch der Rhein-Ruhr-Express ein. Hier beginnen die Verkehrsverträge erst und laufen bis weit in die 2030er Jahre. Es wäre doch klug, wenn wir dort ein neues Modell etablieren könnten. Es wird jedoch juristisch ein dickes Brett, das es zu bohren gilt, denn wir arbeiten stets rechtssicher und wollen nicht, dass Veränderungen in bereits geschlossenen Verträgen angreifbar sind. Die Unternehmen müssen also einen eigenen Nutzen erzielen, um sich darauf einzulassen.

Ein anderes Beispiel: Wir haben standardmäßig eine Pünktlichkeitsvorgabe von 92 Prozent. Wenn man dann aber 95, 96 oder 97 Prozent erreicht, warum soll man nicht auch deutliche Bonuszahlungen ausschütten?

Lesen Sie morgen den zweiten Teil des Interviews.

Kommentare sind geschlossen.