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Die Realität nicht von Narrativen verdecken

14.01.19 (Baden-Württemberg, Kommentar) Autor:Stefan Hennigfeld

Seit Dieter Zetsches mittlerweile legendärem Auftritt bei der Internationalen Automobilausstellung im Herbst 2015 ist das Narrativ des hoch motivierten und gut ausgebildeten Asylbewerbers in der Welt. Und auch wenn die Lebensrealität im öffentlichen Raum – gerade auch in Bussen und Bahnen – sich durch die Asylkrise erheblich verändert hat, so ist der gesellschaftliche Wille, die Menschen in Lohn und Brot zu bringen, ungebrochen.

Das klingt gut und zeigt, dass der Wille, fremde Menschen aufzunehmen und dazugehören zu lassen, nach wie vor besonders groß ist. Doch kann man jemandem mit unbekanntem Schulabschluss oder Berufsqualifikation einfach in gut einem Jahr zu einem Triebfahrzeugführer machen? Sicherlich wird das bei einigen klappen. Aber ob man damit den erheblichen Personalmangel wird decken können?

Blicken wir (gar nicht so weit) über den Tellerrand hinaus: Die Kölner Verkehrsbetriebe starten dieser Tage den zweiten Lehrgang für Asylbewerber. Schon in den Jahren 2017 und 2018 hat man insgesamt 13 Personen zu Busfahrern machen wollen. 13 Leute? Das ist angesichts der hohen Zahl an Asylbewerbern in der Stadt nicht viel. Diese 13 Personen waren das Ergebnis einer umfassenden Vorauswahl. Und doch haben nur fünf die Ausbildung durchgehalten.

Dabei war die Perspektive gut: Es winkte ein sozialversicherungspflichtiger, unbefristeter Arbeitsplatz mit der Vergütung nach den Regeln des Tarifvertrages Nahverkehr. Und doch waren es fast zwei Drittel, die es nicht durchgehalten haben. Ähnliche Erfahrungen hat man jüngst bei der Frankfurter Müllabfuhr gemacht. Auch dort ist der Personalbedarf groß – und bei allem Respekt, aber der Job ist weniger anspruchsvoll als der des Triebfahrzeugführers.

Trotzdem ist es kaum gelungen, Asylbewerber in hoher Zahl in den Beruf des Müllwerkers zu bringen. Viele sind bereits an der mehrwöchigen Einarbeitungsphase gescheitert. Erst jüngst lief in der Sendung Hessenschau im Hessischen Fernsehen genau über diese Problematik ein umfassender Bericht. In beiden Fällen zeigt sich: Ja, man kann sehr wohl einen (leider nur kleinen) Teil der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt integrieren.

ÖPNV, Eisenbahn und Co. sollten sich angesichts ihrer Personalsituation dieser Chance auch nicht vorzeitig entledigen. Im Gegenteil: Wer wirklich in einem „früheren Leben“ in Aleppo oder Bagdad als Busfahrer gearbeitet hat, der dürfte das auch hier lernen können. Aber so romantisch das Bild des mittellosen Kriegsflüchtlings auch sein mag, der uns hier auf dem Arbeitsmarkt die offenen Stellen besetzt, so sehr muss man auch die Realitäten im Auge behalten.

Gerade in Baden-Württemberg stehen die Eisenbahnunternehmen untereinander in Konkurrenz um gute Mitarbeiter. Die Eisenbahnbranche als ganzes konkurriert mit Bosch, Porsche, Daimler-Benz und anderen Industrieriesen um gute Mitarbeiter. Hier wird man sich etwas einfallen lassen müssen, den Personalbedarf zu decken. Ein Sonderprogramm für Asylbewerber kann da sicher eine Komponente sein. Aber mehr auch nicht. Es bedarf vieler weiterer Akquiseanstrengungen.

Siehe auch: BaWü: Asylbewerber sollen Lokführer werden

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