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Ebenso mutig wie richtig

12.07.18 (Kommentar, München) Autor:Stefan Hennigfeld

Natürlich ist eine grundlegende Tarifreform schwer, sie ist ein ähnlicher Aufwand wie die Gründung eines Verkehrsverbundes. Aber nach über 45 Jahren gibt es überhaupt keinen Grund, die Struktur nicht völlig auf den Prüfstand zu stellen und sich Gedanken um die Frage zu machen, ob man nicht mit einem völlig neuen System mehr Transparenz und auch Gerechtigkeit schaffen kann. Wobei, das muss man ja sagen: Der jetzt noch gültige MVV-Tarif ist wahrscheinlich maximal kostengerecht.

Mit so vielen Streifen, Zonen und Ringen ist es problemlos möglich, sicherzustellen, dass jeder Ticketinhaber genau das zahlt, was er zu zahlen hat. Die Kehrseite der Geschichte? Dieses Tarifwerk versteht kein Mensch mehr. Und wir dürften uns ja einig sein, dass ein Verbundtarif wie der MVV ihn derzeit noch hat, als neu einzuführendes Konzept eben wegen dieser Komplexität politisch nirgendwo mehr mehrheitsfähig wäre. Es reicht eben nicht, gerecht zu sein, sondern der Tarif muss auch merkbar sein.

Ein Beispiel: Vor einigen Jahren hatte ich in Köln ein Gespräch mit einem Tagszeitungskollegen über den dortigen Tarif: Ist es nicht unfair, dass man für eine zehnminütige Busfahrt das gleiche zu zahlen hat wie für eine fast einstündige Fahrt mit der S-Bahn und der Stadtbahn? Ja, das mag sein. Aber ein Blick nach München zeigt, dass es nicht um Kostengerechtigkeit allein gehen kann, sondern um einen transparenten Verbundtarif.

Das gilt vor allem auch deshalb, weil Leute, die versehentlich einen falschen Fahrschein erwerben und dann als Schwarzfahrer aufgeschrieben werden, für den ÖPNV dauerhaft verloren sind. Gerade die Tarifstrukturen sind für viele notorische Autofahrer ein echtes Zugangshindernis. Da kann man natürlich sagen, dass das ja alles gar nicht so schlimm sei und im Grunde lässt sich ja nach einer umfassenden Betrachtung der Struktur sogar ein Hauch von Logik erkennen, aber was heißt das?

Wer sein Auto vor der Tür stehen hat und nur einsteigen und losfahren muss, der hat keine Lust, sich mit sonst was für Tarifen auseinanderzusetzen. Wobei man hier unabhängig davon inzwischen eine weitere Neuerung hat: Im Zeitalter des Handytickets müssen viele sich gar nicht mehr im Tarifwerk auskennen: Mit dem Smartphone ein- und ausloggen und der Kollege Computer macht den Rest.

So wird niemand versehentlich zum Schwarzfahrer und niemand zahlt „aus Sicherheitsgründen“ zu viel. Und ja, das ist längst nicht mehr nur was für die junge Generation: Die jetzt vor der Verrentung stehenden Babyboomer sind längst im digitalen Zeitalter angekommen. Sie haben ihre Smartphones und Computer und die Zeiten, dass die siebzigjährige Witwe sich ihre Wertmarke jeden Monat am Schalter holt, werden schon in wenigen Jahren endgültig der Vergangenheit angehören.

Und dennoch ist notwendig, eine Tarifstruktur zu haben, die auch ein Laie durchschaut. Was jetzt in München passiert, ist daher ohne Frage mutig, aber auch notwendig. Denn parallel zu den beständigen Angebotsausweitungen braucht man auch modernes Tarifsystem und keines aus vergangenen Epochen

Siehe auch: MVV reformiert Tarifsystem

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