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Das grenzenlose Europa erfahrbar machen

18.06.18 (Fernverkehr, Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Was ist von Berlin aus die nächstgrößere Stadt mit mehr als einer Viertelmillion Menschen? Stettin. Eine Großstadt mit über 400.000 Einwohnern und die ist nach offizieller Lesart nicht wichtig genug, um an den deutschen SPFV angeschlossen zu werden. Also wenn so eine Stadt in unmittelbarer Nähe zur deutschen Bundeshauptstadt, an der Grenze zu Deutschland, kein SPFV-Verkehrsbedürfnis haben soll, dann kann es nur eine Erklärung geben: Die Fernverkehrsorganisation in Deutschland ist mangelhaft.

Es mag ja alle möglichen Gründe geben, dass man sich bei DB Fernverkehr aus unternehmenspolitischen Gründen gegen ein vernünftiges eigenwirtschaftliches Angebot entscheidet: Gründe, die womöglich auch aus Sicht des Unternehmens richtig sind. Aber die Verkehrspolitik darf sich eben nicht über die Unternehmenspolitik der DB AG definieren, sondern muss im Bundesverkehrsministerium bzw. in einer diesem unterstehenden Verwaltungseinheit gemacht werden.

Wenn niemand bereit ist, vernünftige Verbindungen zwischen Ostdeutschland und Westpolen aufzubauen, dann braucht man eine politische Lösung. Von Berlin nach Stettin, von Schwerin nach Danzig oder auch von Dresden nach Breslau: All das sind Relationen, die man in einer bilateralen Zusammenarbeit vernünftig organisieren und bereitstellen muss. Denn wenn das vielzitierte „vereinte Europa“ mit seinen offenen Schengen-Binnengrenzen einen Bezug zur Lebensrealität haben soll, dann geht das nur, indem man eine Verkehrspolitik macht, die nicht an der jeweiligen Landesgrenze hält.

Wenn all das, was jetzt angekündigt wurde, in den nächsten Jahren wirklich Realität werden sollte, dann ist das für beide Länder ein wichtiges Signal: Es gibt eben nicht mehr die eine rein nationale Eisenbahnpolitik und mit viel Aufwand mal einzelne grenzüberschreitende Leistungen, sondern auch da, wo einst der eiserne Vorhang einen Riss durch unseren Kontinent gezogen hat, wächst zusammen, was zusammen gehört.

Das muss auch unabhängig von politischen Mehrheiten in Warschau oder Berlin passieren, sondern hier muss es auf den Arbeitsebenen in der Ministerialbürokratie gemeinsame Planungen geben. Wer fährt? Schreibt man es aus oder ist DB Fernverkehr vielleicht am Ende doch bereit, bei einer entsprechenden Infrastruktur eigenwirtschaftlich zu fahren – womöglich in Kooperation mit der polnischen Staatseisenbahn?

Das sind dann Kleinigkeiten, die gar nicht so wichtig sind. Wichtig ist, dass die Verkehrsinfrastruktur auf beiden Seiten der Oder-Neiße-Linie so geplant wird, dass man ein Verkehrskonzept aus einem Guss hat. Das Vorbild könnte in Nordrhein-Westfalen liegen, wo sich die Zusammenarbeit mit den Niederlanden in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat.

An zahlreichen Stellen hat man es geschafft, grenzüberschreitende Verbindungen aufzubauen und bei kommenden Vergaberunden werden Züge deutlich weiter in die Niederlande rein fahren – so wird Europa im wahrsten Sinne des Wortes grenzenlos. Was man tief im Westen geschafft hat, kann aber auch im Osten nicht unmöglich sein.

Siehe auch: Deutsch-polnischer Bahngipfel

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