Die andere Realität
08.02.18 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld
Zuerst ist es wichtig, Ideologie und Wirklichkeit miteinander zu vergleichen. Da muss man sehen, dass der große Personalwechsel bei Betreiberübergängen in der Regel ausbleibt. Ja, es gibt Leute, die den Arbeitgeber wechseln, aber dass ganze Belegschaften samstags noch für Schienen-Schultz und sonntags für Bertas Bahn fahren, ist die Ausnahme.
Das ist auch nicht weiter weiter verwunderlich, denn die Tradition des deutschen Angestelltenverhältnisses ist nun einmal etwas anderes als das, was man im Zusammenhang mit Betreiberwechseln immer debattiert: Das Vertragswerk zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber definiert sich aus gutem Grund nicht über einen einzelnen Auftrag, auch nicht über die Summe der verschiedenen Aufträge.
Das ist der Unterschied zwischen einem regulären, sozialversicherungspflichtigen, unbefristeten Arbeitsverhältnis und einem Werkvertrag, der mit dem Ablauf eines bestimmten Auftrages automatisch endet. Der Arbeitgeber ist daher dem Arbeitnehmer gegenüber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass er genügend Aufträge hat, um diesem Arbeit zu beschaffen.
Erst wenn das auf Dauer nicht mehr gewährleistet werden kann, ist Personalreduktion ein Thema und hier sind betriebsbedingte Entlassungen das letzte Instrument, das auch nicht zufällig in der deutschen Eisenbahnbranche noch nie gemacht worden ist.
Ja, unter Mehdorn ist gelegentlich gedroht worden, dass nach Ablauf diverser Vereinbarungen zur Beschäftigungssicherung mit betriebsbedingten Entlassungen zu rechnen sei – das kam in der Regel nach dem Abschluss von Tarifverträgen mit der GDL. Doch geblieben ist davon nie etwas. Lokomotivführer ist und bleibt ein Mangelberuf.
Auch diejenigen, die das Narrativ der Job-Vernichtung durch den Wettbewerb auf der Schiene hochhalten, verstehen schlichtweg nicht, dass der Personalmangel nicht durch Kostendruck, sondern durch zu wenige Bewerber zustande kommt. Kein Lokomotivführer in Deutschland muss arbeitslos sein, wenn es nicht massive persönliche Gründe gibt, die dort eine Rolle spielen.
Doch was heißt das für die Betreiber? In der Regel sollte sich ein Unternehmen, das sich auf die Vergabe von Betriebsleistungen bewirbt, nicht darauf verlassen, ausreichend Mitarbeiter, die bereits im Vergabeobjekt tätig sind, einfach so mir-nichts-dir-nichts übernehmen zu können. Gerade vor dem Hintergrund der Altersstruktur bei einigen Unternehmen und der guten Beschäftigungslage in vielen Regionen Deutschlands muss man sich anderweitig nach Personal umgucken.
Im Eisenbahnwesen gilt die für Gewerkschaften sonst immer als ideal angenommene Ausgangslage, dass nicht der Arbeitgeber die Wahl zwischen mehreren Bewerbern hat, sondern dass angehörige bestimmter Berufsgruppen sich die Firma aussuchen können, für die sie arbeiten möchten. Entsprechend ist es ohnehin selbstverständlich, dass die Berufserfahrung bei der Arbeitsaufnahme angerechnet wird oder dass man den Leuten mehr bieten möchte als die Konkurrenz es tut. So gut das mit der Personalübernahme gemeint ist, aber die Realität ist eine andere.
Siehe auch: BAG SPNV publiziert Personal-Leitfaden