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Debatte um fahrscheinfreien ÖPNV

19.02.18 (Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

In der letzten Woche haben Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Bundesfinanzminister Peter Altmaier (CDU) und Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) angekündigt, öffentliche Verkehrsmittel in einigen deutschen Städten versuchsweise für mehrere Monate fahrscheinfrei zu gestalten. Das hat in der Branche zu einem erheblichen Echo geführt.

Ganz pragmatisch sieht man die Sache beim Branchenverband VDV. Präsident Jürgen Fenske: „Endlich erkennt auch die Bundesregierung die Schlüsselrolle des ÖPNV für Luftreinhaltung und Klimaschutz. So weit so gut! Doch bevor man über kostenlosen, also steuerfinanzierten Nahverkehr nachdenkt, müssen zunächst überhaupt die Voraussetzungen für einen leistungsfähigen ÖPNV in Deutschland geschaffen werden. Schon heute drängeln sich die Fahrgäste überall in Bussen und Bahnen. Ein kurzfristiger, sprunghafter Fahrgastanstieg würde die vorhandenen Systeme vollständig überlasten. Das heißt, zunächst benötigen wir dringend den Ausbau der Kapazitäten im deutschen Nahverkehr mit Hilfe öffentlicher Finanzierung.“

Fenske: „Wenn man dann einen kostenlosen Nahverkehr in Deutschland einführen möchte, dann darf das selbstverständlich keine Eintagsfliege sein, und alle staatlichen Ebenen, also Bund, Länder und die kommunalen Gebietskörperschaften müssen diesen Nahverkehr dauerhaft und nachhaltig finanzieren. Dafür allein braucht es pro Jahr ca. zwölf Milliarden Euro. Und dabei sind noch nicht die Milliardenbeträge für die Infrastrukturinvestitionen berücksichtigt.“

Eine ganz andere Idee kommt derweil vom Verkehrsclub Deutschland. Philipp Kosok, VCD-Referent für Bahn und ÖPNV: „Endlich entdeckt die Regierung ihren Mut zu ambitionierten Ideen. Saubere Luft in den Städten kann es nur mit deutlich mehr Fahrgästen in Bussen und Bahnen geben. Zahlen sollten für den kostenlosen ÖPNV in den von schlechter Luft betroffenen Städten allerdings nicht die Steuerzahler, sondern die Verantwortlichen für die hohen Stickoxid-Werte: die betrügerische Autoindustrie.“

Kosok: „Doch um das Problem der Luftverschmutzung in den Griff zu kriegen, ist ein Testlauf eigentlich überflüssig. Wir brauchen in allen von Fahrverboten betroffenen Städten eine massive Ausweitung des ÖPNV-Angebots zu günstigeren Ticketpreisen. Das Geld hierfür könnte zum Beispiel durch die Abschaffung des Diesel- und des Dienstwagenprivilegs bereitgestellt werden. Der Staat lässt sich jedes Jahr allein die verminderte Besteuerung des Dieselkraftstoffs 7,4 Milliarden Euro kosten. Damit ließen sich bereits die Ticketpreise für den gesamten deutschen Nahverkehr mehr als halbieren.“

Doch wie sieht es vor Ort aus? Ralf Thälmann, Geschäftsführer der Cottbusverkehr GmbH, wäre einer der Personen, die die Vorschläge der großen Politik umsetzen müssten: „Grundsätzlich ist eine Reduktion der Schadstoffemissionen im Sinne des Klimaschutzes wünschenswert und auch der öffentliche Nahverkehr soll zum Erreichen dieser Ziele beitragen. Gemeinsam mit der Stadt Cottbus befassen wir uns deshalb auch mit dem Thema, ob und wie eine Umsetzung hier in unserer Stadt möglich wäre. Wir stoßen in Cottbus bereits jetzt zu Spitzenzeiten an unsere Kapazitätsgrenzen.“

Thälmann: „Daher stellt sich die Frage der Neubeschaffung von Fahrzeugen vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Überlegungen noch dringender. Darüber hinaus gilt es natürlich auch, Antworten auf zahlreiche Fragen zu finden, die wir als aktives Mitglied des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB) gemeinsam mit den anderen Partnern des Verbundraumes untersuchen müssen. Besonders wichtig ist die seriöse Finanzierung eines solchen, kostenfreien Angebots. Diese kann nur gemeinsam mit Stand, Land und Bund geklärt werden.“

Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Alexander Kirchner, hat vor dem Hintergrund der Überlegungen, Nahverkehr künftig kostenlos anzubieten, die EVG-Forderung nach mehr Investitionen in die Infrastruktur noch einmal bekräftigt. „Schon heute brauchen wir deutlich mehr Geld, sowohl für die Instandhaltung, wie auch für den Ausbau des Schienennetzes“, stellte er fest.

„Mehr Anreize zu schaffen, das Auto stehen zu lassen und stattdessen im Nahverkehr mit Bus und Bahn zu fahren, ist überfällig, es darf dabei aber nicht bei Ankündigungen bleiben, die sich zwar gut anhören, letztlich aber nicht umsetzbar sind“, si Kirchner. Es zeigt sich also: Die Idee ist da, realistisch ist sie noch lange nicht.

Siehe auch: Qualität kostet, aber wer zahlt?

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