Diagnose richtig, Therapie falsch?
12.10.17 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Max Yang
Es menschelte ganz schön bei der S-Bahn Berlin, bei der Mitarbeiterin „Yvi“ auf Twitter am Donnerstagabend erklärte, „Ich werde jetzt auch irgendwie nach Hause laufen. Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Finde nicht die richtige Worte, sorry.“ Ja, wenn es bei einem Unternehmen mal hakt, appelliert man heute eben online ans Herz.
Frank Behrendt von Serviceplan – einer Agentur, mit der die Deutsche Bahn bei verschiedenen Vorhaben zusammengearbeitet hat – feierte den Status der Bahnerin auf Twitter: „Dieser kleine ehrliche Tweet ist ein wunderbarer Beleg dafür, dass #bots den Menschen in besonderen Situationen nicht 1:1 ersetzen können.“ Nun ja, so neu ist das Rezept nicht. Das hat das krisengeschüttelte Verkehrsunternehmen Southern in Südengland vorgemacht.
Die haben nicht nur einen sehr ähnlichen kuriosen Personalmangel, wie er bei der S-Bahn Berlin lange Alltag war, und einen offenbar überforderten Aufgabenträger vor Ort. Sie haben auch im Sommer einen 15-jährigen Schülerpraktikanten namens Eddie auf ihren Twitter-Kanal geschickt, just in dem Moment, als das Unternehmen von einer 13-Millionen-Pfund-Pönale getroffen wurde.
Mag dies auch kurzfristig schlechte Schlagzeilen abgewendet haben, der Tarifkonflikt mit den Eisenbahnergewerkschaften ist noch heute nicht beendet. Chris Gilmour von der Agentur Beattie Communications erklärte in der „PR Week“, dass Aktionen wie „Ask Eddie“ den Glauben an die Professionalität des Unternehmens Southern insgesamt aushöhlten. „Eddie“ erinnert uns letztlich daran, dass so eine Aktion zwar dem verärgerten Pendler im Moment der Betriebsstörung den Wind aus den Segeln nehmen kann.
Aber auf keinen Fall darf man vergessen, trotzdem am nächsten Tag darüber zu reden, wie man solche Probleme in Zukunft von vornhinein vermeidet. Dazu gehört, den Fahrgastverbänden aufmerksam zuzuhören. Vor abgedroschenen Scheinargumenten sollte man sich aber hüten. Mögen die Abläufe im heutigen DB-Konzern auch oft suboptimal sein, bedeutet das nicht automatisch, dass eine Rückkehr zur monolithischen Behördenbahn bessere Ergebnisse garantiert.
Als häufiger Bahnfahrer stelle ich fest, dass qualitativ hochwertige Fahrgastinformation eher mit der vorherrschenden Unternehmenskultur zu tun hat. In Großbritannien, das schon seit langer Zeit eine Trennung von Netz und Bahnbetrieb hat, kann man das sehr gut beobachten. Bei manchen EVU informiert der Triebfahrzeugführer die Fahrgäste hinter ihm, kaum dass man an einem roten Signal stehengeblieben ist. Bei anderen EVU sind auch 15 Minuten Verspätung nicht der Rede wert.
Und all diese Verkehrsunternehmen fahren im Netz der neutral agierenden, staatlichen Infrastrukturgesellschaft Network Rail. Es funktioniert also auch in einem angeblich zerstückelten Bahnsystem, wenn jeder seine Rolle ernst nimmt. Verantwortungsvolle Eisenbahnpolitik sollte nicht nur Vorurteile bekämpfen, sondern ist sich auch nicht für einen Blick über die Grenzen zu schade. Das zeigt das aktuelle Beispiel Finnland, wo die Regierung auf positive Ergebnisse vergangener Bahnreformen u.a. im benachbarten Schweden verweist.
Siehe auch: Der Sturm und seine Folgen