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Das undenkbare umsetzen

28.09.17 (Kommentar, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Dieter Ludwig, der Erfinder der Karlsruher Stadtbahn, ist mit einem Satz in Erinnerung geblieben: Für jede Lösung, die er vorgelegt hat, haben die Mitarbeiter der (damaligen) Bundesbahn im umgehend neue Probleme vorgesetzt. Inwieweit man diese Mentalität in der heutigen Eisenbahnbranche noch hat, sei dahingestellt, aber soweit wie manche denken ist er auch von der Realität des Jahres 2017 nicht entfernt.

Natürlich kann man nicht alles mit einer Kombination aus EBO und BOStrab lösen, aber die Denkweise, dass kreative und ideologiefreie Lösungen zu großen Erfolgen führen können, sollte man bewahren. Es ist ein Erfolg, wenn man es im großen Stil schafft, Menschen auf die Schiene zu locken. Gerade die junge Generation, für die Carsharing eine Selbstverständlichkeit ist, hat überhaupt keine Berührungsängste mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wenn das Angebot stimmt.

Und so wie man in Karlsruhe, Kassel und Chemnitz die Gräben zwischen Tram und Eisenbahn zugeschüttet hat, muss man ähnliches bei der Konkurrenz zwischen (eigenem) Auto und öffentlichen Verkehrsmitteln tun. Wer ein MVV- oder VRS-Ticket hat, der kann sich seine Getränkekisten in Köln oder München mit einem Carsharing-Auto holen, wenn ausreichend verfügbar sind und das Angebot stimmt.

Deswegen ist es wichtig, dass man „alles aus einer Hand“ kriegt. Mit der Verbund-App das Carsharing-Auto öffnen und die Fahrräder ausleihen muss ebenso eine Selbstverständlichkeit sein wie mit einem Anschlussticket mal eben einfach so über die Verbundgrenzen hinauszufahren. So erfolgreich das Einfach-Weiter-Ticket in Nordrhein-Westfalen ist, so muss dennoch attestieren, dass es leider viel, viel zu spät auf den Markt gebracht wurde.

Es muss einfach sein, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, intuitiv. Eine Branche, die stolz drauf ist, dass man VHS-Kurse zum Fahrscheinkauf anbietet, die denkt nicht kundenorientiert. Erst recht nicht, wenn man darauf hinweist, dass am Veranstaltungsort ausreichend Parkplätze vorhanden sind.

Nein, man muss der Digitalisierung und der Urbanisierung anpassen: Man braucht Trabantenstädte, die eine hohe Lebensqualität liefern – also nicht die Wiedererfindung der Betonhöllen aus den 70er Jahren, sondern die Stärkung umliegender Mittelzentren: Es braucht auch in Erding und Hennef an der Sieg gute Möglichkeiten für multimodale Mobilität und ein SPNV-Netz, das über das Zentrum hinausgeht.

Man muss auch von Köpenick und Spandau in engem Tank schnell in die zentralen Berliner Bezirke kommen – was bislang nicht der Fall ist. So ein Regionalexpress im Sinne einer beschleunigten S-Bahn muss dann eben auch bis in die Außenbezirke alle zwanzig Minuten fahren.

Es löst eben keine Probleme, sondern kuriert höchstens ein paar Symptome, wenn man eine Mietpreisbremse einführt, ändert aber nichts daran, dass das Angebot die Nachfrage um ein vielfaches übersteigt. Deswegen brauchen wir eine ressortübergreifende Politik, die für mehr guten Wohnraum und anständigen öffentlichen Verkehr sorgt. Ideologiefrei, visionär und gleichzeitig realistisch. Das undenkbare muss Realität werden, wie einst in Karlsruhe.

Siehe auch: Tramtrain-Systeme feiern Jubiläum

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