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Drei Elfmeter ohne Torwart

03.08.17 (Kommentar, Stuttgart, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Schon seit Jahren ist bei der ÖV- und Eisenbahnlobby die Tendenz zu erkennen, dass man nicht das eigene Angebot besser machen, sondern Autofahren als solches erschweren möchte. Sei es, dass man in den Innenstädten horrende Parkgebühren verlangt, eine Citymaut oder generell alles verteuern möchte, was mit dem eigenen Auto zu tun hat. Nun kommen in Stuttgart womöglich Fahrverbote für Diesel- und irgendwann vielleicht auch Benzinautos.

Damit ist das Maximum erreicht: Mehr geht nicht. Man stelle sich ein Endspiel in der Champions League vor, in der 124. Minute, kurz vor dem Ende der Verlängerung und eine Team bekommt drei Elfmeter ohne Torwart. So in etwa ist die Ausgangslage, die nach dem jüngsten Gerichtsurteil in Stuttgart für den Bereich des öffentlichen Verkehrs daliegt.

Man muss diese Chance ergreifen, denn jetzt geht es dem Auto auf eine Art und Weise an den Kragen, wie es selbst in den kühnsten Träumen noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen wäre. Was also macht man aus dieser Vorlage? Dass das Angebot insgesamt ausgebaut werden muss, dürfte auf der Hand liegen: Dann muss eben auch eine Landesregierung mal sicherstellen, dass zusätzliche Zugleistungen finanziert werden.

Bislang haben sich die meisten Bundesländer dem stets verweigert. Das wird jetzt nicht mehr gehen, denn die vielen Menschen, die in die Stadt müssen, brauchen andere Transportwege. Wenn man überfüllte S-Bahnen hat, in denen womöglich noch Fahrgäste an den Bahnsteigen stehen bleiben, weil man keine ausreichenden Gefäßgrößen hat, wird es relativ schnell unangenehm für eine Stadt wie Stuttgart: Denn dann kann so manch eine Firma das gleiche machen, was viele Angestellte schon lange tun – sich etwas im Umland suchen.

Warum sollen denn nicht in Mittelzentren neben Eigenheimen auch Verwaltungssitze wie Pilze aus dem Boden schießen? Man spart sich Miete und Immobilienkosten und sehr wahrscheinlich dürften die Gewerbesteuer-Hebesätze in einem 30.000-Einwohner-Ort auch geringer sein als in den Landeshauptstädten und Oberzentren. Da darf man nämlich noch fahren und solche Städte freuen sich, wenn Firmen wie Porsche, Daimler-Benz oder Bosch ihren Hauptsitz zum Beispiel nach Ludwigsburg, Esslingen am Neckar, Reutlingen oder Tübingen verlegen.

Man braucht also in Städten wie Stuttgart, Köln, Hamburg, München, Düsseldorf, Berlin und vielen anderen vernünftige Konzepte: Ein ÖPNV-Angebot, das den Namen verdient und das Mobilitätsverfügbarkeit nicht nur im Zentrum, sondern im Metropolraum als solches sicherstellt. Als da wären etwa RE-Leistungen im Sinne beschleunigter S-Bahnen, ein Taktverkehr, der auch sonntags morgens, samstags am Nachmittag oder vormittags in der Woche um elf Uhr noch prima funktioniert.

Dazu kommt eine vernünftige Vernetzung zwischen Bus und Bahn: Auch abends um 23 Uhr muss sich der Bus in Reutlingen noch am Regionalexpress aus Stuttgart orientieren – um vernünftige Mobilitätsketten zu gewährleisten. Hier müssen Stellen wie der VRS oder die NV.BW im Zweifel auch die Stadtverwaltung überstimmen können – im Sinne der Verkehrswende.

Siehe auch: In Stuttgart drohen Fahrverbote für Dieselautos

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