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Österreich: Debatte um Eisenbahnpolitik

24.07.17 (Österreich, Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Im Vorfeld der Nationalratswahlen in Österreich am 15. Oktober kommt auch die Debatte um die künftige Eisenbahnpolitik in der Alpenrepublik in Fahrt. Derzeit hat man mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) einen staatlichen Monopolisten, der mit der Westbahn einen einzigen Konkurrenten im Bereich des eigenwirtschaftlichen Verkehrs hat.

Ausschreibungen gemeinwirtschaftlicher Eisenbahnleistungen, wie man sie etwa aus Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten kennt, sind in Österreich (derzeit noch) nicht üblich. Stein des Anstoßes ist die Wiener S-Bahn, die von den ÖBB betrieben wird – allerdings endet die Konzession im Jahr 2019. Dann könnte man die Leistungen ausschreiben. Oder auch nicht.

Während das SPÖ-dominierte Wien eine neuerliche Direktvergabe an die ÖBB anstrebt, fordert man im von der ÖVP regierten Niederösterreich Wettbewerb. Die dortigen ÖVP-Verantwortlichen wollen aber nicht nur die S-Bahn, sondern am liebsten jede Strecke des SPNV ausschreiben. Das ist zunächst eine Grundsatzdebatte, die unabhängig von der praktischen Umsetzung ist.

Denn auch in Deutschland fingen die Aufgabenträger nach der Eisenbahnreform 1994 und der Regionalisierung 1996 erst langsam an, die Netze wettbewerblich zu vergeben: Waren es zunächst einzelne Linien oder kleinere Dieselnetze, auf denen man erste Gehversuche machte, erhielt DB Regio in den Jahren nach der Jahrtausendwende fast überall für große Netze und langlaufende Linien in elektrischer Traktion Direktvergaben: Verkehrsverträge, die erst nach 2010 ausliefen.

Mit dem Abellio-Urteil 2011 folgte dann die Ausschreibungspflicht. Auch in Österreich wäre es daher realistischer, ein Netz wie die Wiener S-Bahn zuletzt wettbewerblich zu vergeben. Auch ein Abschmelzungsvertrag wäre möglich. Solche hat es in Deutschland zuhauf gegeben: Dass ein Vertrag im Jahr 2020 anfängt und jedes Jahr weniger Zugkilometer vorsieht, weil die Leistungen sukzessive in den Wettbewerb überführt werden.

Doch diese praktische Debatte findet in Österreich nicht statt, weil es zunächst um Grundsätzliches geht. Die Kanzlerpartei SPÖ hat daher zu einem Parteienquete geraten – man will Experten zu Wort kommen lassen. Bisher sind Vertreter des ÖGB und Betriebsräte der ÖBB eingeladen. Die Wiener Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ), die auch für den öffentlichen Verkehr zuständig ist, hält Ausschreibungen im Eisenbahnverkehr für gefährlich.

In der Zeitung Die Presse sagte sie: „Die Menschen haben ein Recht darauf, dass der öffentliche Verkehr verlässlich und in der gewohnt hohen Qualität funktioniert. Gerade die 265.000 Pendlerinnen und Pendler, die jeden Tag nach Wien kommen, sind auf starke Öffis angewiesen.“ Zudem befürchtet sie, dass im Falle von Ausschreibungen private Akteure nur an besonders lukrativen Strecken interessiert wäre.

Rosinenpickerei, bei denen die ÖBB gezwungen würde, dort zu fahren, wo sonst niemand will? Wie man bei der SPÖ auf derartige Befürchtungen kommt, bleibt offen. Das erste Unternehmen, das an wettbewerblichen Vergaben interessiert sein dürfte, wäre sehr wahrscheinlich die Westbahn. Diese hat eine faktenreiche Auseinandersetzung gefordert.

Mit Verweis etwa auf Deutschland kann man in der ersten Ausschreibungsrunde bis zu fünfzig Prozent des spezifischen Zuschussbedarfes für Sitzplatz- oder Zugkilometer einsparen. Zur Debatte um die Arbeitsplätze der Eisenbahner erklärt man: „Dass heimische Arbeitsplätze durch Wettbewerb gefährdet sind, ist nicht belegbar. Einerseits werden für wettbewerblich ausgeschriebene Verkehre auch Mitarbeiter benötigt und andererseits sind die Mitarbeiter der Infrastruktur (die bei weitem den größten Anteil an Eisenbahnmitarbeitern ausmachen) ohnedies vom Wettbewerb nicht betroffen.“

Darüber hinaus verweist man auf die Direktvergabeoption, wie sie in der europäischen Verordnung 1370/07 vorgesehen ist. Demnach sind Direktvergaben im Prinzip möglich, wenn sie nicht – wie in Deutschland – nach nationalem Recht untersagt sind. Allerdings haben die Aufgabenträger auch dann eine Veröffentlichtungspflicht, so dass sich interessierte Unternehmen melden und ins Verfahren einsteigen können.

Das will man in Österreich jedoch nicht beachten, sondern Verkehrsverträge mit den ÖBB schließen ohne jedwede Chance für andere potentielle Betreiber. Vor diesem Hintergrund bleibt spannend, ob der frühere ÖBB-Chef Christian Kern (SPÖ) Bundeskanzler bleibt oder ob der ÖVP-Kandidat Sebastian Kurz das Amt übernimmt.

Siehe auch: Österreichische Absurditäten

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