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Britische Kompetenz statt Berliner Klüngel

03.07.17 (Großbritannien & Irland, Kommentar) Autor:Max Yang

Großbritannien ist weit. Die Entfernung zwischen Brighton und Berlin beträgt 950 Kilometer Luftlinie und auch die Mentalitäten dürften nicht minder weit voneinander entfernt sein. Der Berliner, der vor lauter „Gemeinschaftsgeist“ und „Zusammenhalt“ auch die größten Patzer in Politik und Wirtschaft geduldig hinnimmt, und der Brite, der sich das allem „stiff upper lip“ zum Trotz irgendwann nicht mehr bieten lässt. Unsere Berichterstattung über die Aktivitäten des Fahrgastverbandes Assocation of British Commuters (ABC), der in Reaktion auf jahrelange Schlechtleistungen im SPNV-Netz Southern gegründet wurde, schmeckte dennoch nicht allen.

Die Kritik fiel auch schon derb aus: „Halt’s Maul, was haben die schon erreicht“, wurde mir kürzlich sinngemäß an den Kopf geworfen. Und zwar von einem Mitbürger, der zu Hochzeiten der S-Bahn-Krise in Berlin lebte und zwar wunderbar Probleme finden kann, sich mit dem gedanklichen Sprung zu Lösungen oder Alternativen noch etwas schwer tut. Jedenfalls heute kann man ihm entgegnen, dass ABC schon in der kurzen Zeit des eigenen Bestehens viel erreicht hat. Und auch sonst kann an der Legitimität ihrer Arbeit nicht gezweifelt werden. In einer Demokratie ist es eben nicht verwerflich, für die eigenen Interessen zu kämpfen und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, damit diese Interessen nicht unter die Räder geraten.

Zumal das die anderen Akteure – Gewerkschaften, Verkehrsunternehmen – auch tun. Diese haben oft einen besseren Draht zur Politik und deren Interessen decken sich eben oft nicht mit denen der Fahrgäste. Vorsichtig muss man sowieso sein, wenn ein Politiker oder ein Wirtschaftsboss behauptet, von einer bestimmten „politischen Lösung“ würden „alle profitieren“. Das ist in der Realität nur selten der Fall. Oft fallen Kosten oder Nachteile an, die nur nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Die ABC-Truppe um Emily Yates und Summer Dean hat in ehrenamtlicher Tätigkeit viel Aufbauarbeit für ihr Baby geleistet. Ein Großteil der Anwaltskosten konnte durch Spenden betroffener Pendler und Geschäftsinhaber getragen werden.

Ihr geheimes Erfolgsrezept dürfte sein, dass sie als Fahrgastverband die parteipolitische Neutralität anstreben. Sie haben Kontakt zu Abgeordneten aus der Region wie Caroline Lucas (Green Party), arbeiten allerdings nur zielorientiert und sind für viele Wege offen, um eine möglichst breite Unterstützerbasis binden zu können. ABC hat sich ausdrücklich von medialen Versuchen unter anderem im Boulevardblatt „Daily Mail“ distanziert, sie in die Nähe der Jeremy-Corbyn-nahen „Momentum“-Bewegung zu rücken.

Bedauerlich, dass sich etwa Pro Bahn Berlin-Brandenburg im Fahrwasser der Berliner S-Bahn-Krise 2009/10 programmatisch gleich auf ein Zurück zur Behördenbahn verengt hat. Eine rechtsstaatliche Demokratie darf sich in Brighton wie auch in Berlin nicht auf „zahl deine Steuern und halt die Fresse“ beschränken. Wer mehr zivilgesellschaftliches Engagement will, müsste in Deutschland über ein Verbandsklagerecht für Fahrgastverbände nachdenken, wie man es schon im Kontext von Verbraucherverbänden und AGB kennt.

Siehe auch: UK: Teilerfolg für Fahrgastverband

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