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UK: Southern-Dokumente nicht offengelegt

01.12.16 (Großbritannien & Irland) Autor:Max Yang

Es vergeht derzeit fast kein Tag, an dem nicht aus dem Nahverkehrsnetz Southern, welches London und einen großen Teil des zentralen Südenglands abdeckt, Störungsmeldungen dringen. Bis in den Januar hinein sind mehrtägige Streiks der Gewerkschaft RMT (Rail, Maritime and Transport Union) angekündigt. Auch von einem Mangel an Triebfahrzeugführern seit der Übernahme des Netzes Thameslink durch das jetzige EVU Govia Thameslink Railway (GTR) war die Rede. Vordergründig geht es derzeit um einen Konflikt bei der ministeriell gewünschten Ersetzung von Kundenbetreuern mit betrieblichen Aufgaben durch reine Fahrgeldsicherer. Die sozialen Netzwerke quellen über vor Leidensberichten gebeutelter Pendler, die teilweise ihre Arbeitsplätze gewechselt haben, um sich nicht mehr dem unzuverlässigen Eisenbahnverkehr aussetzen zu müssen.

Abfahrtstafel am Bahnhof Gatwick Airport mit u.a. wegen Personalmangels verspäteten Zügen. (Archivbild vom 09.11.2016)

Abfahrtstafel am Bahnhof Gatwick Airport mit u.a. wegen Personalmangels verspäteten Zügen. (Archivbild vom 09.11.2016, Max Yang/Zughalt.de)

Die „Association of British Commuters“ (ABC; etwa: Verband der britischen Pendler), eine von SPNV-Nutzern in Südengland als Reaktion auf die Probleme ins Leben gerufene Fahrgastinitiative, hat nun einen Zwischenbericht veröffentlicht. Nach erfolgreicher Fundraising-Kampagne für eine gerichtliche Kontrolle des ministeriellen Handelns (Zughalt berichtete) hat man dem britischen Verkehrsministerium (Department for Transport; DfT) einen Brief im Vorverfahren zugestellt. Darüber hinaus ist man seit drei Monaten damit beschäftigt, die Offenlegung von Verwaltungsdokumenten rund um das Netz Southern im Rahmen des Informationsfreiheitsrechts zu beantragen.

Ein großer Teil der Anträge wurde vom DfT wegen „Geschäftsgeheimnissen“ abgelehnt. Man fürchte, dass die Veröffentlichung von Informationen mit Personalbezug die Verhandlungsposition von GTR gegenüber den Gewerkschaften schwächen würde. Das DfT begründet das Absehen von einer Pönalisierung oder außerordentlichen Vertragskündigung mit höherer Gewalt – in den Augen der ABC eine nicht bewiesene Ausrede – sowie insbesondere einem inoffiziellem Bummelstreik. Die ABC wiederum verweist auf eine Praxis der „bewussten Unterbesetzung“ bei GTR, welche dazu geführt habe, dass das vorhandene Personal sich geweigert habe, an freien Tagen zur Arbeit eingeteilt zu werden. Laut ABC konnte bisher kein Beweis für einen Bummelstreik erbracht werden. Verkehrsminister Chris Grayling habe sogar angekündigt, eine Untersuchung der Situation erst nach Ende der Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften zu führen.

Zwei von Southern betriebene Nahverkehrszüge der Baureihe 377 (Electrostar) stehen am 30.03.2016 im Bahnhof London Victoria. (Max Yang/Zughalt.de)

Zwei von Southern betriebene Nahverkehrszüge der Baureihe 377 (Electrostar) stehen am 30.03.2016 im Bahnhof London Victoria. (Max Yang/Zughalt.de)

Pikanterweise handelt es sich beim Verkehrsvertrag nicht wie in Großbritannien üblich um einen Nettokostenvertrag mit unternehmerischem Risiko („franchise“), sondern um einen „management contract“, was im Deutschen grob als Bruttokostenvertrag ohne Anreizregelung umschrieben werden kann. Die ABC kritisiert das durch Geheimhaltung geprägte „enge Verhältnis“ zwischen DfT und Govia. Der Fahrgastverband verweist auch darauf, dass die Verkehrsgewerkschaft RMT sowie die Lokführergewerkschaft Aslef bereits im November 2015 ihre Sicherheitsbedenken geäußert und mit Streiks gedroht haben. Aussagen von Politikern, sie seien über den Gewerkschaftskonflikt überrascht, seien unglaubwürdig, zumal DfT-Ministerialdirektor Peter Wilkinson im Frühjahr erst wegen der Aussage, Gewerkschaften „zerbrechen“ zu wollen, in die Kritik geriet. Nach Interpretation der ABC will die britische Regierung einen politisch gewollten Konflikt eskalieren lassen, während die gesellschaftlichen Einbußen als Kollateralschaden hingenommen würden.

Martin Perry, Direktor des Fußballvereins Brighton & Hove Albion, wendete sich letzte Woche mit einem offenen Brief an das DfT mit der Bitte um eine umgehende Intervention. Auslöser hierfür war ein Verkehrschaos am 18. November, als im Amex-Stadion in Falmer der Verein Aston Villa zu Gast war. Ein gutes Drittel der Zuschauer – 10.431 Personen – wollte mit der Bahn anreisen. Der außerplanmäßige Einsatz von Bahnsteigaufsichten als Zugbegleiter wendete den Ausfall einiger Züge ab, dennoch wurden mehrere Verbindungen gestrichen. Erst gegen 23.30 Uhr, zwei Stunden nach Ende des Spiels, hatten alle Fans den Bahnhof Falmer verlassen. Einige Zuschauer seien die A27 – eine Hauptverkehrsstraße ohne Bürgersteige – entlang nach Hause gelaufen. Andere hätten ihren Anschlusszug in Brighton verpasst, so dass sie die Nacht notdürftig im dortigen Bahnhofsparkhaus verbrachten. Perry erinnerte daran, dass die politisch gewollte Abwendung vom PKW nur dann realistisch sei, wenn ein zuverlässiger ÖPNV existiere.

Siehe auch: Der Brite wehrt sich

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