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Politische Machtkämpfe

29.08.16 (Kommentar, Niedersachsen) Autor:Stefan Hennigfeld

Wenn ein Unternehmen ein Produkt auf den Markt bringt, dann ist es ein legitimes Anliegen, dass man die Qualität dessen selbst steuern und in der Hand haben möchte. Die von vielen Eisenbahnverkehrsunternehmen artikulierte Befürchtung, dass das nicht mehr möglich ist, wenn Aufgabenträger und Hersteller gesonderte Instandhaltungsverträge abschließen, ist daher nicht so einfach von der Hand zu weisen. Was macht Müller Rail, wenn man mit einem desolaten Zug fahren muss, der von Lolles Lokfabrik nicht richtig instandgehalten wird, etwa weil der Vertrag mit dem Aufgabenträger für diesen von Nachteil ist?

So verständlich wie diese Argumentation ist, so muss man doch aber sagen, dass sie am Kern des Problems vorbeigeht. Denn das deutsche Eisenbahnwesen ist seit Jahren so strukturiert, dass der Nutzer bei Problemen das Nachsehen hat, für die der Verkehrsbetreiber nicht verantwortlich ist. Denn was passiert, wenn Müller Rail zwar von Lolles Lokfabrik gute Züge bereitgestellt bekommt, aber immer zu spät kommt, weil der Infrastrukturbetreiber Schienen-Schultz das Netz vor sich hin rosten lässt?

Dass gerade DB Netz dazu tendiert, gesunkene Geschwindigkeiten bei Langsamfahrstellen einfach als Regelgeschwindigkeit zu definieren, ist ja nichts neues und wurde auch mit der überarbeiteten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung in jüngster Vergangenheit nicht behoben. Da nutzt es auch nichts, wenn gelegentlich zu hören ist, dass solche Sachen ja nur „früher“ oder „unter Mehdorn“ gemacht worden seien. „Inzwischen ist der Verhältnis viel besser“ sagen einige, es ändert aber nichts daran, dass alle beteiligten Akteure inklusive dem Aufgabenträger dem Infrastrukturbetreiber zunächst einmal hilflos ausgeliefert sind.

Es muss noch einen anderen Grund dafür geben, dass einige Leute so vehement gegen Herstellerwartung sind. Dieser tritt zutage, wenn man sich die Machtverhältnisse zwischen Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen ansieht. Wenn die Züge im Eigentum des Verkehrsunternehmens stehen (oder von diesem gemietet werden oder wie auch immer) und das auch für die Instandhaltung selbst verantwortlich ist, dann ist es ungleich schwieriger, bei notorischen Schlechtleistungen den Verkehrsvertrag zu kündigen. Man stelle sich einmal vor, der VRR hätte im Jahr 2008 bei der Kündigung des Verkehrsvertrages mit DB Regio Zugriff auf das Rollmaterial gehabt.

Man hätte einfach jemand anderen beauftragen können statt in einen komplexen Prozess vor dem Verwaltungsgericht eintreten zu müssen. Oder der mehr als desolate Start von Keolis im Jahr 2009: Auch hier hätte man eingreifen und kurzfristig jemand anderen beauftragen können. Durch mehrere Auftragnehmer sinkt die Abhängigkeit des Auftraggebers. Das ist der eigentliche Grund, warum so viele Verkehrsunternehmen nicht wollen, dass die Aufgabenträger separate Instandhaltungsverträge abschließen. Was wir hier erleben sind Machtkämpfe zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern. Wann immer es Herstellerwartung gibt, verschiebt sich das Kaleidoskop der Macht zulasten des beauftragten Verkehrsunternehmens.

Siehe auch: LNVG beauftragt Bombardier mit Instandhaltung

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