Eisenbahnjournal Zughalt.de

Nachrichten über Eisenbahn und öffentlichen Verkehr

Neue Diskussionen um Stuttgart 21

02.06.16 (Stuttgart) Autor:Stefan Hennigfeld

Zuletzt war es um das umstrittene Großprojekt Stuttgart 21 ruhig geworden. Zwar gibt es noch immer ausharrende Demonstranten, aber im großen und ganzen hat sich eine Mehrheit wahrscheinlich damit abgefunden, dass das Projekt politisch nicht mehr verhindert werden kann. Doch in den letzten Tagen tauchten neue Informationen auf, die wieder Fahrt in die alte Debatte bringen.

Dabei sind die Themen selbst nichts neues, größtenteils wurden sie bereits im Herbst 2010 im medienwirksamen öffentlich gezeigten Diskussionsverfahren unter der Leitung des früheren CDU-Generalsekretärs und Bundesgesundheitsministers Heiner Geißler geführt. So hat das ZDF-Magazin Frontal 21 über Bahnsteige berichtet, die zu steil sein sollen als normalerweise erlaubt.

Was im Prinzip seit Jahren bekannt ist und mit einer Sondergenehmigung durch das Planverfahren gekommen ist, wird jedoch jetzt wieder debattiert. Auf einer Länge von vierhundert Metern werden die Bahnsteige im geplanten Tunnelbahnhof einen Höhenunterschied von sechs Metern aufweisen. Das entspricht einer Steigung von 1,5 Prozent. Die gesetzliche Grundlage geht davon aus, dass ein Bahnsteig eine Steigung von maximal 0,25 Prozent haben darf.

Das wäre bei vierhundert Metern Länge ein Höhenunterschied von einem Meter zwischen den beiden enden. Bei einer ähnlichen hohen Steigung haben die ZDF-Reporter einen Kinderwagen abgestellt und prompt rollte dieser los. Für den Fall, dass Kinderwagen, aber vielleicht auch Rollstühle oder Rollatoren leicht angewinkelt stehen, drohen sie, so das ZDF, ins Gleisbett zu rollen.

Bereits 1992 schrieb Eberhard Happe, damals Leiter im Bereich Zugförderung der Deutschen Bundesbahn, dass die Bahnsteigneigung „als kriminell angesehen“ werden müsse. Das Präsidium der Bundesbahn (einen Vorstand gibt es erst seit der Gründung der DB AG ) leitete ein Disziplinarverfahren ein und verlor – dem Ingenieur konnte durch den Leiter des Verfahrens keine Verfehlung nachgewiesen werden.

Am 28. Januar 2005 hat das Eisenbahnbundesamt den Planfeststellungsbescheid erlassen. Darin heißt es: „Eisenbahnspezifische Bestimmungen stehen der beantragten Längsneigung von 15,143 Promille im neuen Stuttgarter Durchgangsbahnhof nicht entgegen.“ Es seien „Vorkehrungen zur Gewährleistung der gleichen Sicherheit“ vorgelegt worden, etwa „Hinweisschilder oder sonstige optische Hinweise auf erhöhte Längsneigung“.

Fast zeitgleich musste das Bundeskanzleramt am einen von Projektgegnern erwirkten Gerichtsbeschluss hin zum Teil geschwärzte Akten freigeben. Daraus wird ersichtlich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das Projekt persönlich vorangetrieben haben soll, wohl wissend, dass im Rahmen des Baus unkalkulierbare Kostenrisiken liegen. Diese wurden bereits im Jahr 2010 mit mehreren Milliarden Euro angegeben.

Zur Erinnerung: Der ursprüngliche Plan für Stuttgart 21 sah vor, dass sich das Projekt durch die Erlöse aus Grundstücksverkäufen selbst finanziert. An der Erstellung der Papiere war ebenfalls der damalige Chef des Bundeskanzleramtes Ronald Pofalla (CDU) beteiligt, der 2013 in den Vorstand der Deutschen Bahn AG wechselte und als Nachfolger des Vorstandsvorsitzenden Rüdiger Grube gehandelt wird.

Am 5. Februar 2013, wenige Monate vor dem Wechsel Pofallas aus der Politik in den Vorstand des DB-Konzerns, hat er gemeinsam mit der Bundeskanzlerin – etwa einen Monat vor der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrates – ein Papier verfasst, dass das ausdrückliche Ziel hatte, die misstrauisch gewordenen Mitglieder des Gremiums vom Weiterbau zu überzeugen.

Es war am 12. Dezember 2012, als Rüdiger Grube und sein Vorstandskollege Volker Kefer darüber informiert haben, dass die damals bereits auf 4,5 Milliarden Euro gestiegenen Kosten vermutlich auf 5,6 Milliarden Euro hochzugehen drohen.

Darüber hinaus gab es weitere bekannte Risiken in einer Höhe von noch einmal 1,2 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund hat der VCD in Baden-Württemberg nun gefordert, dass der Bund die Mehrkosten alleine tragen solle – da man dort über alle Risiken informiert war.

„Im Hinblick auf die negativen Erfahrungen mit der Bundesbahn wollte man mit der Bahnreform gerade eine strikte Trennung zwischen wirtschaftlichem Handeln der Eisenbahn einerseits und Entscheidungen der Politik andererseits“, erklärt VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb. Es bleibt abzuwarten, wie sich die neu formierte grün-schwarze Koalition verhalten wird. Bislang hat man die Beteiligung an Mehrkosten stets abgelehnt.

Siehe auch: Das unkalkulierbare Risiko

Kommentare sind geschlossen.